John Millard leitet am PSI den Technologietransfer. In diesen Bereich fällt auch das Patentwesen. Im Gespräch erzählt er, wie das PSI sein Wissen mit Patenten schützt und dank seiner Patente die Zusammenarbeit mit der Industrie und anderen Forschungsinstituten noch stärker fördert.
Wozu braucht eine Forschungseinrichtung wie das PSI überhaupt Patente?
Wenn wir etwas patentieren lassen, ist es mit dem Ziel, für unsere Investitionen in die Forschung einen zusätzlichen Mehrwert zurückzubekommen. Das können im einfachsten Fall Lizenzeinnahmen sein, also zusätzliche finanzielle Mittel aus der Vermarktung der Erfindung. Diese stehen dann unseren Forschenden, ihrem Labor und dem PSI zur Verfügung und machen unsere Forschung noch besser. Neben diesem finanziellen Aspekt gibt es noch andere wichtige Gründe, warum das PSI Innovationen patentieren lässt. Ein Patent kann für das PSI strategisch wichtig sein, weil es das Interesse der Industrie weckt und neue, potenzielle Industriepartner auf uns aufmerksam macht.
Was bewegt Industrieunternehmen, auf das PSI zuzukommen?
Wenn ein Forschungsinstitut ein Patent angemeldet hat, spricht das für seine fachliche Expertise. Die Unternehmen interessiert dann entweder, ob sie für dieses Patent eine Lizenz erhalten können oder ob das Patent wichtig ist, um ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Technologie ihrer Firma weiterzuentwickeln. Wenn Firmen eine neue Technologie entwickeln wollen oder sich nach neuen Märkten umschauen, analysieren sie immer, ob es schon jemanden gibt, der an dem Thema bereits arbeitet oder schon Patente angemeldet hat. Solche Untersuchungen können verraten, woran die Konkurrenz forscht.
Nützen Patente auch etwas im akademischen Bereich?
Das ist ähnlich wie in der Industrie. Wenn zwei akademische Partner zusammenarbeiten wollen, um auf einem bestimmten Gebiet zu forschen, und einer hat bereits etwas zu dem Forschungsthema patentieren lassen, ist dies ein klares Zeichen für seine Sachkenntnis und praktische Erfahrung auf dem Gebiet. Eine Patentanmeldung macht uns also attraktiver für eine Forschungszusammenarbeit. Das ist auch wichtig in nationalen oder internationalen Konsortien, wenn sich Forschende aus unterschiedlichen Einrichtungen zusammenschliessen, um grosse wissenschaftliche oder gesellschaftliche Fragen zu beantworten. Mit einem Patent in der Hand verbessert sich dort unsere Position und das PSI wird zum begehrten Partner.
Warum ist diese durch ein Patent bestätigte Expertise so wichtig?
Patente sorgen dafür, dass unser Wissen besser verwertet werden kann. Wenn Forschende oder eine Firma etwas neu oder weiterentwickeln wollen und dabei auf eine geschützte Technologie angewiesen sind, brauchen sie Zugang zu diesem Patent. Das bietet einerseits die Möglichkeit, dass sich das PSI an Projekten von anderen beteiligen kann. Und andererseits bringt ein Patent weitere Projekte ans PSI. Damit bekommt das PSI etwas für seine Investitionen zurück. Nicht direkt aus einer Lizensierung, sondern weil es die Tür öffnet für eine neue Zusammenarbeit.
Haben Sie konkrete Beispiele für eine solche Zusammenarbeit?
Wir haben eine Lizenzvereinbarung mit dem Schweizer Unternehmen Debiopharm für einen Wirkstoff gegen eine Form von Schilddrüsenkrebs. Dadurch erhält das PSI Lizenzeinnahmen. Aber ebenso wichtig ist, dass hier eine neue, langfristige Zusammenarbeit entstanden ist, weil das Unternehmen den Wirkstoff gemeinsam mit dem PSI weiterentwickeln will. Es gibt auch andere Bereiche, in denen Firmen mit dem PSI über längere Zeit zusammengearbeitet haben. Weil sie erkannt haben, dass wir nicht nur die Patente, sondern auch das Knowhow haben. Die Industrie nimmt uns ernst.
Welchen Effekt hat das?
Für uns ist diese Art von Zusammenarbeit wichtig, weil die weitere Erforschung auf einem Gebiet hier am PSI bleibt und trotzdem gemeinsam mit diesen Firmen gemacht wird. Es gibt auch andere Firmen, die mit uns Kontakt aufnehmen, weil wir ein bestimmtes Knowhow haben, das die Unternehmen voranbringen würde. So sind wir automatisch ein wichtiger Ansprechpartner.
Welches spezifische Knowhow ist das?
Für einige von unseren Entwicklungen, die wir patentieren liessen, gibt es nur einen sehr kleinen Markt. Aber sie können sehr wichtig sein, weil sie etwas einfacher machen oder Kosten reduzieren. Das sind dann Technologien, die wir nach aussen in die Wirtschaft oder die Forschung einbringen. Da ist der monetäre Wert des Patents nicht so hoch. Aber es führt zu einem Imagegewinn für das PSI. Wenn eine Forschungseinrichtung bekannt und angesehen ist, entstehen immer wieder neue Zusammenarbeiten. Das ist wie ein Kreislauf: Wir investieren Geld, Ressourcen und Knowhow und bekommen dafür Ansehen und neue Partner zurück. So können wir uns ständig weiter verbessern.
Wir investieren Geld, Ressourcen und Knowhow und bekommen dafür Ansehen und neue Partner.
Wie viele Patente besitzt das PSI zurzeit?
Aktuell haben etwas über einhundert Patentfamilien, also Patente, die auf eine Anmeldung zurückgehen. Dazu zählen auch Patente zu bestimmten Schlüsseltechnologien des PSI, wie etwa in der Entwicklung von Röntgendetektoren und anderen Messmethoden, in der Strahlentherapie und -diagnostik, der Kernphysik und einiges mehr.
Wie beurteilt man den Wert eines Patents?
Den Wert? Salopp gesagt: Am Automodell, das sich der Erfinder gekauft hat. Nein, Spass beiseite – leider erschliesst sich der finanzielle Wert eines Patents erst im Nachhinein. Natürlich prüfen wir vor der Anmeldung, ob wir das Potenzial sehen, aber eine Patentanmeldung bleibt immer eine hochspekulative Investition. Am Ende erwirtschaften sehr wenige Patente den Löwenanteil der Lizenzeinnahmen. Zum Glück hat ein Patent für uns noch weiteren Nutzen.
Gibt es etwas Messbares zum Wert von Patenten, vielleicht in Zahlen ausgedrückt?
Was wollen Sie in Zahlen ausdrücken? Die Anzahl an Produkten, an Arbeitsplätzen, den Umsatz? Die durch ein Patent mögliche Wertschöpfung ist sehr komplex, denn es spielen viele nicht messbare Faktoren hinein. Natürlich versucht man heutzutage, aus den zugänglichen Informationen rund um Patentanmeldungen Rückschlüsse auf den finanziellen Wert von Patenten zu ziehen, aber dies ergibt nur durch Mittelung über viele Patente eine nützliche Aussage. Der ETH-Bereich, zu dem das PSI gehört, hat 2018 eine Patentportfolioanalyse durchführen lassen, um die Qualität seiner Patente zu bewerten. Die Patente wurden auch hier nicht unter finanziellen Aspekten bewertet.
Wie wurde die Patentportfolioanalyse durchgeführt?
Bewertet wurde unter anderem, wie oft eine Patentfamilie zitiert wurde – also die Relevanz – und in wie vielen Ländern das Patent angemeldet wurde – also die Verbreitung. Diese zwei Kriterien sagen sehr viel darüber aus, ob ein Patent wertvoll ist oder nicht. Denn sie umfassen einerseits die Selbsteinschätzung vom Patentanmelder, und andererseits die Fremdeinschätzung von der Konkurrenz. Internationaler Patentschutz ist kostspielig, in je mehr Ländern ein Erfinder seine Innovation schützen lassen will, umso teurer wird es. Deshalb signalisiert eine umfassende internationale Patentanmeldung, dass der Erfinder davon ausgeht, dass sein Patent erfolgversprechend ist. Umgekehrt sieht man, wie wichtig ein Patent ist, wenn es von anderen Forschenden oder Firmen häufig als Referenz für eine Technologie genannt wird.
Patente erleichtern es dem PSI, das Wissen unserer Forscher in wirtschaftliche Erfolge umzuwandeln – zum Nutzen der Industrie, unserer Forschung und der Gesellschaft.
Warum reizt es Forschende, Patente einzureichen?
Patente stehen für Innovation und bringen Wertschätzung. Möchte ein Wissenschaftler in die Industrie wechseln, haben Patente sogar einen höheren Stellenwert als wissenschaftliche Publikationen. Die wissenschaftlichen Publikationen sind enorm wichtig im akademischen Umfeld. Aus Sicht der Industrie sind aber Patente wertvoller. Hat jemand bereits ein Patent, wissen die Leute in den Unternehmen, dass sie nicht nur einen neuen Mitarbeiter bekommen, der auf einem bestimmten Gebiet enorm viel weiss, sondern auch noch kommerziell denken kann.
Spielt dieses kommerzielle Denken auch am PSI eine Rolle?
Einige Forschende denken bereits unternehmerisch. Sie kommen nicht nur mit einer Erfindung, die sie patentieren möchten. Oft haben sie gleich noch die Idee, ein Spin-off zu gründen, damit sie ihre Erfindung weiterentwickeln und vermarkten können. Wenn ein Patent in ein Spin-off mündet, ist das auch für das PSI ein Gewinn. Wir können etwa eine Zusammenarbeit aufbauen oder können das Patent an das Spin-off lizenzieren. Spin-offs bekommen von uns jede mögliche Unterstützung. Es ist eine Win-win-Situation für beide.
Wann zieht das PSI eine Patentanmeldung in Betracht?
Am PSI machen wir vor der Anmeldung eine mehrstufige Bewertung. Wir melden nur eine Erfindung zum Patent an, wo wir für das PSI einen Mehrwert sehen. Denn zunächst geht es darum, den Anmeldeaufwand zu rechtfertigen. Einschliesslich dem möglichen Totalverlust, wenn die Anmeldung erfolglos ist. Und wir klären im Vorfeld mit einem Patentanwalt oder dem Institut für Geistiges Eigentum IGE in Bern verschiedene fachliche Fragen ab, zum Beispiel: Wie gross ist der erfinderische Schritt? Was ist der Stand der Technik? Könnte man unser Patent leicht umgehen?
Was ist der wichtigste Schritt bei einer Patentanmeldung?
Das Timing ist wichtig: Der Erste, der kommt, der hat es. Wenn publiziert, kann nicht mehr patentiert werden. Also muss manchmal ein noch unfertiges Dossier eingereicht werden, damit man einer Publikation zuvorkommt. Das kann auch eine Präsentation oder ein Manuskript sein, das für eine Fachzeitschrift vorbereitet wurde, vielleicht mit einer kurzen Beschreibung, was man patentieren will. Mit dieser Anmeldung erhält man das Prioritätsdatum und zwölf Monate Zeit, sein Gesuch komplett einzureichen. Also die Idee auszuformulieren und mit Skizzen und Daten zu ergänzen. Danach kann der Erfinder seine Ergebnisse bedenkenlos wissenschaftlich publizieren, weil das Patent schon angemeldet ist.
Was würde passieren, wenn publiziert wird ohne diese Anmeldung?
Sobald eine Erfindung irgendwo publiziert ist ohne vorherige Anmeldung, ist sie nicht mehr patentierbar. Da reicht schon eine Seite in einer Zeitschrift. Diese Regel haben Firmen schon genutzt, um eigene Entwicklungen, die sie zum Beispiel wegen der hohen Patentgebühren nicht patentieren lassen wollten, davor zu schützen, dass andere ein Patent darauf anmelden. Bei uns am PSI ist das anders. Die Patente, die wir anmelden, erwerben wir nicht, um uns zu schützen. Im Gegenteil, sie dienen dazu, die Aussenwelt zu uns zu bringen.
Interview: Sabine Goldhahn