Schadstoffe entstehen oft erst in der Luft

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Paul Scherrer Instituts PSI hat am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, besonders präzise Messungen zur Atmosphärenchemie durchgeführt. Damit konnten die Forschenden zeigen, wie durch Verkehrsemissionen und die Verbrennung von Biomasse schädliche Partikel entstehen. Ihre Ergebnisse helfen, bisherige Modelle zur Ausbreitung von Feinstaub zu präzisieren. 

Imad El Haddad ist Gruppenleiter für molekulare Cluster- und Partikelprozesse im Labor für Atmosphärenchemie am Zentrum für Energie- und Umweltwissenschaften des PSI. Für seine neue Studie zur Bildung organischer Aerosole hat er ein Team von über 70 Forschenden aus Europa und Nordamerika geleitet. © Paul Scherrer Institut PSI/Mahir Dzambegovic

Anthropogene organische Aerosole sind vom Menschen ausgestossene kohlenstoffhaltige Partikel in der Luft, die zum Feinstaub zählen. Sie stellen eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit dar und tragen jedes Jahr weltweit zu Millionen von Todesfällen bei. Vor allem in Grossstädten entstehen durch unvollständige Verbrennungsprozesse in Verkehr, Industrie und Haushalten Abgase, aus denen sich die gesundheitsschädlichen, lungengängigen Partikel bilden.

In einer internationalen Studie am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, konnten Forschende unter der Leitung des PSI neue Erkenntnisse über die Entstehung dieser organischen Aerosole gewinnen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich solche Schadstoffe oft erst nach mehreren Oxidationsschritten bilden. Daraus folgt, dass die Verschmutzung mit anthropogenem Feinstaub eine grössere regionale Auswirkung hat als bisher angenommen. Das wiederum deutet daraufhin, dass es nicht ausreicht, die direkten Emissionen von Fabriken, Häusern und Fahrzeugen etwa mit Feinstaubfiltern zu reduzieren. Vielmehr müssen auch die Vorläufergase, aus denen sich später schädliche organische Aerosole bilden, kontrolliert werden. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in der Zeitschrift Nature Geoscience.

Menschgemachter Feinstaub entsteht langsamer

Früher gingen Forschende davon aus, dass sich organische Aerosole durch einen einzigen Oxidationsschritt bilden. Natürliche Vorläufergase wie Terpene und Isoprene – das sind Kohlenwasserstoffe, die von Pflanzen ausgestossen werden – binden innerhalb kurzer Zeit Sauerstoff und formen so direkt feste Luftpartikel.

Die neue Studie zeigt jedoch, dass es sich bei anthropogenen Emissionen anders verhält: Die dabei frei werdenden Vorläufergase –  wie Toluene und Benzene, die etwa aus Autoabgasen und der Verbrennung organischer Materialien stammen, durchlaufen mehrere Oxidationsstufen, bevor sie feste Partikel bilden. «Diese Erkenntnis stellt die bisherige Annahme infrage, Schadstoffe bildeten sich vor allem in der Nähe der Emissionsquellen», sagt Imad El Haddad, Projektleiter der neuen Studie. «Stattdessen zeigt sich, dass anthropogene Aerosole einen längeren Entstehungsprozess durchlaufen, wodurch sich ihre Auswirkungen regional ausdehnen.»

Blick ins Innere der CLOUD-Kammer. Das Experiment wurde ursprünglich 2006 geschaffen, um die These zu prüfen, ob der Einfluss der kosmischen Strahlung auf das Klima der Erde grösser sei als der Einfluss menschlicher Treibhausgase. Die These wurde eindeutig widerlegt. Seither wird die Kammer für weitere wichtige Studien zur Atmosphärenchemie, zur Partikelbildung und zu den Wechselwirkungen zwischen Aerosolen und Wolken verwendet.
Blick ins Innere der CLOUD-Kammer. Das Experiment wurde ursprünglich 2006 geschaffen, um die These zu prüfen, ob der Einfluss der kosmischen Strahlung auf das Klima der Erde grösser sei als der Einfluss menschlicher Treibhausgase. Die These wurde eindeutig widerlegt. Seither wird die Kammer für weitere wichtige Studien zur Atmosphärenchemie, zur Partikelbildung und zu den Wechselwirkungen zwischen Aerosolen und Wolken verwendet. © CERN/Maximilien Brice

Eine einzigartige Simulationskammer

Die neue Studie wurde an der CLOUD-Simulationskammer (Cosmic Leaving OUtdoor Droplets – auf Deutsch etwa «Kosmische Tröpfchen, die im Freien zurückbleiben») des CERN durchgeführt. Über siebzig Forschende aus Europa und Nordamerika arbeiteten zusammen, um die städtische Luftverschmutzung zu simulieren und die Entwicklung organischer Aerosole zu verfolgen. Die CLOUD-Anlage ist die sauberste Atmosphären-Simulationskammer der Welt und kann Parameter wie Temperatur und Druck äusserst präzise regeln – die Temperatur etwa auf ein zehntel Grad genau. Ihr Edelstahlzylinder hat ein Fassungsvermögen von rund sechsundzwanzig Kubikmetern. Hochpräzise Sensoren sorgen dafür, dass Veränderungen im Inneren des Zylinders auf die Sekunde genau beobachtet werden können. Für ihre Experimente füllten die Forschenden die Kammer mit einem Gasgemisch, das dem städtischen Smog ähnelt, um die Umwandlung von Abgasen in organische Aerosole zu verfolgen.

Im Schichtbetrieb haben die Forschenden den simulierten Smog kontinuierlich vermessen. Sie bestimmten die Grössenverteilung der sich bildenden Partikel mithilfe der sogenannten Mobilitätsanalyse und ermittelten die molekulare Identität der kondensierenden Dämpfe in Echtzeit per Massenspektrometrie. Ausserdem verfolgten sie genau, welcher Anteil der Vorläufergase und ihrer Produkte an den Wänden der Kammer kondensiert. Dies muss bei Berechnungen für die Schadstoffbildung berücksichtigt werden. «Dank der präzisen Beobachtungen können wir nun besser verstehen, wie anthropogene Aerosole in der Luft entstehen und wachsen», sagt El Haddad. 

Präzisere Vorhersagen

Unterm Strich hat die Studie ergeben, dass sich ein erheblicher Teil der anthropogenen organischen Aerosole nicht nach der ersten Oxidation, sondern erst nach zusätzlichen Oxidationsschritten bildet, was zwischen sechs Stunden und zwei Tagen dauern kann. Das Forschungsteam schätzt, dass diese mehrstufige Oxidation für mehr als 70 Prozent der gesamten anthropogenen organischen Aerosolverschmutzung verantwortlich ist. 

Ihre Ergebnisse verbessern die Luftverschmutzungsmodelle, indem sie genauere Vorhersagen der Feinstaubkonzentrationen liefern und ein besseres Verständnis der regionalen Auswirkungen ermöglichen. Und sie unterstreichen, wie wichtig es ist, nicht nur die direkte Emission von Feinstaub etwa durch Partikelfilter einzudämmen, sondern auch die Emission von Vorläufergasen, die erst später feste Partikel bilden. So liesse sich die Luftverschmutzung effektiver bekämpfen und die öffentliche Gesundheit verbessern.

Dr. Imad El Haddad 
Center for Energy and Environmental Sciences 
Paul Scherrer Institut PSI

+41 56 310 29 95
imad.el-haddad@psi.ch
[Englisch]


Anthropogenic organic aerosol in Europe produced mainly through second-generation oxidation

Xiao, M., Wang, M., Mentler, B. et al.
Nature Geoscience, 18, 239–245 (2025). 
DOI: 10.1038/s41561-025-01645-z

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 460 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2024)