Imad El Haddad analysiert am Center for Energy and Environmental Sciences des Paul Scherrer Instituts PSI die chemische Zusammensetzung und die gesundheitlichen Auswirkungen von Feinstaub.
Herr El Haddad, zu seinem 20. Jahrestag hat das Fachmagazin Atmospheric Chemistry and Physics 20 führende Atmosphärenforschende gebeten, einen Beitrag zu schreiben, worin sie die aktuell grössten Aufgaben ihres Fachs sehen. Was war Ihre Antwort?
Imad El Haddad: Unsere Gruppe hat darauf hingewiesen, dass die bisherigen Vorschriften und Gesetze zur Reduktion von Feinstaub möglicherweise nicht mehr ausreichen. Als Feinstaub bezeichnen wir winzige Schwebepartikel in der Luft.
Diese Regeln haben also nicht zu einer Verbesserung der Luftqualität geführt?
Das schon. Durch die Vorschriften in Europa und den USA konnte die Feinstaubbelastung aus den Industrie- und Verkehrsemissionen stark reduziert werden. Doch eigentlich ist es nicht nur die reine Menge der Partikel in der Luft, die das Problem verursacht, sondern auch ihre chemische Zusammensetzung. Selbst wenn die Partikelkonzentration womöglich ähnlich ist, macht es einen Unterschied, ob Sie hinter dem Auspuff eines Lastwagens stehen und dessen Abgase einatmen – oder am Meeresstrand liegen und die salzige Luft inhalieren. Wir sollten also differenzieren, welche Aerosolpartikel am schädlichsten für die Gesundheit sind. Diese Unterscheidung wird immer wichtiger, da die Klimaerwärmung zu einem Anstieg der natürlichen Partikelbelastung führt.
Welche Art von Feinstaub stammt aus natürlichen Quellen?
Zu diesen Partikeln gehören Staub aus den Wüsten und Russpartikel von Waldbränden etwa. Auch die Emissionen von Pflanzen, die Kohlenwasserstoffe wie Terpene an die Luft abgeben, nehmen unter Klimastress zu. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese Partikel zu quantifizieren und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit zu bewerten, insbesondere in Industrieländern, wo ihr Anteil im Vergleich zu den menschgemachten Feinstaubemissionen Überhand gewinnt. In Entwicklungsregionen wie Osteuropa, Asien und Afrika hingegen stellen anthropogene Emissionen nach wie vor das Hauptproblem dar. Weltweit verursacht die Feinstaubbelastung immer noch etwa sieben Millionen Todesfälle pro Jahr, wobei etwa 90 Prozent davon in China und Indien zu verzeichnen sind.
Spielt nicht auch die Grösse der Partikel eine Rolle, weil kleinere Partikel tiefer in die Lunge eindringen können?
Das ist richtig, die Partikelgrösse ist ein entscheidender Faktor. Kleinere Partikel – insbesondere solche unter 2,5 Mikrometer – können tiefer in die Lunge eindringen und somit erhebliche Gesundheitsrisiken bergen. Die Grösse ist jedoch eng mit der Beschaffenheit verbunden. Durch das Verständnis der chemischen Zusammensetzung von Partikeln können wir auch auf ihre Grösse schliessen. Ausserdem liefert sie uns Informationen über die Quellen: Sulfate stammen beispielsweise aus Kraftwerken, Stickstoffverbindungen aus dem Verkehr. Deshalb ist es so wichtig, die chemische Zusammensetzung in Vorschriften zu regeln – so können wir die Ursachen der Umweltverschmutzung angehen. Damit packen wir das Problem bei der Wurzel und müssen womöglich weniger Geld in Medizin investieren, um mit den Folgen zurechtzukommen. Zumal teure Medizin nicht für alle Menschen gleich zugänglich ist. Feinstaub-Regeln dagegen helfen allen.
Ist dieser soziale Aspekt auch eine Motivation für Sie, diese Forschung zu betreiben?
Absolut. Der soziale Faktor ist ein wichtiger Antrieb für meine Arbeit. Mit einem tieferen Verständnis der Zusammensetzung von Feinstaub können wir die öffentliche Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern, insbesondere über eine frühzeitige Vorbeugung von Krankheiten durch eine sauberere Umwelt für alle. Deshalb führen wir auch umfangreiche Forschungsarbeiten in Ländern wie Indien durch, insbesondere in Delhi, einer Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern, in der die Luftqualität gefährlich belastet sein kann. Manchmal übersteigen die dortigen Feinstaubwerte die von der WHO empfohlenen Grenzwerte um das 15-Fache. Unsere Untersuchungen zeigen, dass ein Grossteil dieser Verschmutzung von organischen Verbindungen stammt, die bei unvollständiger Verbrennung freigesetzt werden. Wenn wir diese Quellen verstehen, können wir an Lösungen arbeiten, um gefährdete Bevölkerungsgruppen vor den gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung zu schützen.
Konnten Sie die Quellen ausfindig machen?
Neben dem Verkehr und der Verbrennung landwirtschaftlicher Rückstände stammen viele organische Emissionen in Indien von den Haushalten. Aufgrund von Armut verbrennen viele Menschen alles, was sie finden können – wie getrockneten Kuhdung – zum Kochen oder Heizen im Winter. Diese Stoffe verbrennen ineffizient, was zu hohen Emissionen organischer Verbindungen führt.
Wie könnte man das Problem lösen?
Wie so häufig: mit Geld. Gasherde oder Elektroautos beispielsweise sind für die meisten Menschen in Indien nach wie vor zu teuer. Hier ist es wichtig, dass Strategien zur Reduzierung der Luftverschmutzung auch dem Klima zugutekommen. Derzeit ist der CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen Inders fünfmal niedriger als der eines durchschnittlichen Europäers. Angesichts der grossen Bevölkerung Indiens ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich der Energiesektor nachhaltig entwickelt, um sowohl die Luftqualität als auch die Klimabedingungen zu verbessern. Dazu müssen wir Energie, Luftqualität, Klima und Gesundheit als ein zusammenhängendes Ganzes betrachten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschenden auf globaler und lokaler Ebene sowie eine umfangreiche finanzielle Unterstützung werden von entscheidender Bedeutung sein – insbesondere, da die Vorteile einer Lösung die ganze Welt betreffen.
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Originalveröffentlichung
Imad El Haddad, Danielle Vienneau, Kaspar R. Daellenbach, Robin Modini, Jay G. Slowik, Abhishek Upadhyay, Petros N. Vasilakos, David Bell, Kees de Hoogh, and Andre S. H. Prevot
Opinion: How will advances in aerosol science inform our understanding of the health impacts of outdoor particulate pollution?
Atmospheric Chemistry and Physics, 24, 11981–12011, 28.10.2024