PSI-Forscher zeigen: Magnetische Wechselwirkungen sind für eisenbasierte Hochtemperatur-Supraleiter von grundlegender Bedeutung
Wissenschaftler und Ingenieure träumen seit Langem von einem Material, das elektrischen Strom bei Zimmertemperatur ohne Verlust leitet. Vor gut 25 Jahren fanden Forscher mit den Kuprat-Supraleitern (Supraleiter auf Kupfer-Basis) erstmals Stoffe, die bei vergleichsweise hohen Temperaturen supraleitend sind. Diese Eigenschaft hat auch eine neue Klasse von Supraleitern, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde: Hochtemperatur-Supraleiter auf Eisenbasis. Wissenschaftler des Paul Scherrer Instituts in Villigen haben zusammen mit chinesischen und deutschen Forscherkollegen nun neue Erkenntnisse zu dieser Klasse von Supraleitern gewonnen. Die experimentellen Ergebnisse aus der Grundlagenforschung deuten darauf hin, dass magnetische Wechselwirkungen für das Phänomen der Hochtemperatur-Supraleitung von zentraler Bedeutung sind. Dieses Wissen könnte in Zukunft dazu beitragen, Supraleiter mit besseren technischen Eigenschaften zu entwickeln.
Konventionelle Supraleiter brauchen sehr niedrige Temperaturen. Dann können diese Materialien Strom ohne Widerstand leiten, was z.B. technische Anwendungen mit besonders starken Magnetfeldern wie Teilchenbeschleuniger oder medizinische Geräte ermöglicht. In jüngerer Zeit richtet sich das Interesse der Forschung auf die Hochtemperatur-Supraleiter. Diese Supraleiter leiten den Strom verlustfrei schon bei höheren Temperaturen. Deshalb sind Forscher und Forscherinnen immer auf der Suche nach neuen Materialen, die bei möglichst hohen Temperaturen supraleitend sind. 2008 wurden neuartige Hochtemperatur-Supraleiter aus Eisen entdeckt. Diese Supraleiter kommen hauptsächlich in den Legierungen mit Eisen-Arsenid, Eisen-Phosphor und Eisen-Selenid vor.
Magnetische Eigenschaften praktisch gleich
Wissenschaftler des Paul Scherrer Instituts sind bei der Erforschung der eisenbasierten Supraleiter an der Spitze mit dabei. Die jüngsten, mithilfe der Röntgen-Spektroskopie gewonnenen Resultate tragen zu einem vertieften Verständnis dieser Supraleiter bei. Bei ihren Untersuchungen verglichen die Forscher eine supraleitende Materialprobe mit einer Probe des zugehörigen Basismaterials, das nicht supraleitend ist. Das Basismaterial – im vorliegenden Fall eine Barium-Eisen-Arsenid-Verbindung – wird supraleitend, indem Forscher es mit einer bestimmen Menge von Kalium-Atomen versetzen. Bei diesem Einbringen von Fremdatomen wird das Basismaterial mit Löchern dotiert. Diese Lochdotierung mit Kalium führt im Material zu Stellen mit fehlenden Elektronen, was die Kristallstruktur und die elektrische Leitfähigkeit beeinflusst.
Die Forschenden interessierten sich insbesondere für die dynamischen magnetischen Eigenschaften von Basismaterial und Supraleiter. Dazu regten sie in den Materialproben magnetische Fluktuationen an. Mit magnetischen Fluktuationen (auch als Spinwelle oder Magnon bezeichnet) geht eine Umorientierung der benachbarten Elektronenspins einher, die sich wellenartig in der Materialprobe fortsetzt. In dem Basismaterial sind Spinwellen leicht und deutlich nachweisbar. Die Forscher wollten nun wissen, ob dies auch für die dotierten, supraleitenden Materialproben gilt. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die „Störlöcher“ der Lochdotierung die Spinwellen stark dämpfen und die magnetische Ordnung der langreichweitig geordneten Spins aufbrechen. Doch die PSI-Forscher gelangten zu einem anderen Befund: Die Spinwelle wurde im Supraleiter kaum gedämpft, sie liess sich fast mit derselben Intensität nachweisen wie im Basismaterial. „Wir haben gelernt, dass die magnetischen Fluktuationen im supraleitenden Material praktisch gleich stark auftreten wie im Basismaterial. Die Lochdotierung mit Kalium führt zu keiner wesentlichen Störung der Spinwellen“, fasst PSI-Forscher Thorsten Schmitt das Resultat zusammen.
Erklärungsansatz für Hochtemperatur-Supraleitung
Die dynamischen magnetischen Eigenschaften von Basismaterial und optimal dotiertem Supraleiter sind bei eisenbasierten Hochtemperatur-Supraleitern also sehr ähnlich. „Wir deuten diese erstaunliche Tatsache so, dass die magnetische Wechselwirkung am Übergang zur supraleitenden Phase beteiligt sein kann. Wir sind gerade dabei, unsere Methode noch weiter zu verbessern, um auch sehr kleine Änderungen der magnetischen Eigenschaften, die eventuell beim Übergang in die supraleitende Phase auftreten, nachweisen zu können“, sagt Schmitt.
Schmitt und seine Forscherkollegen leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung. Supraleitung entsteht nach gängiger Auffassung dadurch, dass zwei Elektronen zu einem sogenannten Cooper-Paar „zusammengeklebt“ werden. Bei Hochtemperatur-Supraleitern könnte die magnetische Wechselwirkung für die Bindung der Elektronen-Paare verantwortlich sein. „Die Spinwellen sind dafür der heisseste Kandidat“, sagt Thorsten Schmitt.
Untersuchung mit Röntgenlicht
Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher die ADRESS-Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz, eine Grossforschungsanlage am Paul Scherrer Institut, die Röntgenlicht von sehr hoher Intensität für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung stellt. Dabei wurden die dynamischen magnetischen Eigenschaften von Basismaterial und Supraleiter mit resonant-inelastischer Röntgen-Streuung (Resonant Inelastic X-ray scattering, RIXS) untersucht. Bei dieser Spektroskopie-Methode wird das untersuchte Material mit Röntgenlicht bestrahlt. Das Röntgenlicht regt in der Probe eine Spinwelle an – und verliert dadurch Energie. „Vergleicht man die Energie des abgelenkten mit jener des eingestrahlten Lichts, kann man aus der Differenz auf die Eigenschaften der Spinwellen schliessen“, sagt Kejin Zhou, der diese Messungen im Rahmen seiner Postdoktorandentätigkeit am PSI durchgeführt hat.
Die PSI-Forscher wollen ihr Verständnis der Hochtemperatur-Supraleiter weiter vertiefen. Dazu gehören Experimente bei verschiedenen Dotierungszuständen in jenem Grenzbereich, in dem die Eigenschaft der Supraleitung einsetzt. Geplant sind auch Untersuchungen von weiteren Klassen von eisenbasierten Supraleitern.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Mensch und Gesundheit, sowie Energie und Umwelt. Mit 1500 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 300 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Thorsten Schmitt; Labor für Kondensierte Materie, Forschungsbereich Synchrotronstrahlung und Nanotechnologie, Paul Scherrer Institut,Telefon: +41 56 310 37 62, E-Mail: thorsten.schmitt@psi.ch
Link zur ADRESS-Strahllinie
Originalveröffentlichung
Persistent high-energy spin excitations in iron pnictide superconductorsK. J. Zhou, Y. B. Huang, C. Monney, X. Dai, V. N. Strocov, N. L. Wang, Z. G. Chen, Chenglin Zhang, Pengcheng Dai, L. Patthey, J. van den Brink, H. Ding, and T. Schmitt
Nature Communications 12 February 2013 DOI: 10.1038/ncomms2428