Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und des Technologietransferzentrums ANAXAM belegen mithilfe der Neutronen- und der Synchrotron-Bildgebung, unter welchen Bedingungen vorgefüllte Fertigspritzen blockieren.
Bei vorgefüllten Fertigspritzen kann es in seltenen Fällen dazu kommen, dass die Spritzennadeln verstopfen. Dies kann für die Patientinnen oder Patienten möglicherweise nachteilige Folgen haben, falls das Medikament nicht oder nicht in ausreichender Dosierung in den Körper gelangt. Jetzt konnte ein Team vom Paul Scherrer Institut PSI unter der Leitung des Technologietransferzentrums ANAXAM in Zusammenarbeit mit MSD (ein Handelsname von Merck & Co., Inc., Rahway, N.J., USA) einen detaillierten Blick in die Nadel werfen. So gelang es den Forschenden, die möglichen Ursachen für eine Blockade zu ermitteln und die Voraussetzung zu schaffen, um diese in Zukunft zu verhindern. Entscheidend dafür: Eine Kombination von Bildgebungsverfahren an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS und der Schweizer Spallations-Neutronenquelle SINQ. Beide befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Gelände des PSI – ein Ensemble, das weltweit einmalig ist. Das Ergebnis ist eine Premiere, freuen sich der Chemieingenieur Vladimir Novak und der Physiker und CEO von ANAXAM Christian Grünzweig: «Uns ist der bisher detaillierteste Blick in das Innere einer Nadel gelungen.»
Vorgefüllte Spritzen finden vermehrt Anwendung etwa bei Krebstherapien mit monoklonalen Antikörpern. Jedoch verstopfen Nadeln in vorgefüllten Spritzen, in wenigen Fällen. Das Risiko dafür steigt, seitdem die enthaltenen Therapeutika aus Proteinen und Antikörpern höhere Konzentrationen aufweisen, damit zäher sind und dem Strömen der Flüssigkeit einen höheren Widerstand entgegensetzen. Verlässliche Zahlen zur durchschnittlichen Häufigkeit einer Blockade sind nicht bekannt. Als mögliche Ursachen diskutieren Forschende wechselnde Druck- oder Temperatur-Verhältnisse etwa beim Transport der Chargen.
Druck- und Temperaturschwankungen als mögliche Ursache
Das Team um den Chemieingenieur Vladimir Novak, Leiter der Projektgruppe und Forscher bei ANAXAM, ging dieser Hypothese in verschiedenen Messreihen nach. So wurden 31 vorgefüllte Spritzen einem Temperaturwechsel zwischen 5 und 40 Grad sowie wechselnden Drücken zwischen 550 und 1010 Millibar ausgesetzt. Derartige Bedingungen treten typischerweise auch auf Transportflügen dieser Medizinprodukte auf. Anschliessend betrachtete das Team die Nadeln sowohl unter dem Synchrotron-Röntgenstrahl wie auch dem Neutronenstrahl.
Beide Bildgebungsverfahren weisen spezifische Vorteile auf. Neutronen können Metall besser durchdringen, werden jedoch beim Passieren von Wasserstoffatomen, wie sie in Flüssigkeiten vorkommen, abgelenkt und erzeugen so einen deutlichen Kontrast. «Die Neutronenradiografie ermöglicht eine 2-D-Visualisierung der Flüssigkeit innerhalb der Nadel, bei der sowohl Umgebungsdruck als auch Umgebungstemperatur während der Messung der Spritzen variiert werden können», erläutert David Mannes vom Labor für Neutronenstreuung und Imaging des PSI.
Die klassische Röntgen-Computertomografie ist normalerweise nicht in der Lage, Flüssigkeiten von geringer Dichte im Inneren von Edelstahl so detailliert darzustellen, da der durchleuchtende Lichtstrahl zu wenig abgeschwächt wird. Teilweise kohärente Strahlen, wie sie an der SLS am PSI verfügbar sind, erlauben dies jedoch.
Die Synchrotron-Röntgentomografie bietet eine hochauflösende 3-D-Bildgebung, um detaillierte Grenzflächen zwischen Luft und Flüssigkeit in einer Nadel sichtbar zu machen. «Diese neue Anwendung der Technik stellt den ersten Versuch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft dar, das Problem der Nadelverstopfung mit Synchrotron-Röntgentomografie zu untersuchen», erklärt Margie Olbinado, Industrial Liaison Scientist an der Tomcat-Strahllinie der SLS des PSI.
Die Messreihen belegten sichtbar, dass Schwankungen in den Umgebungsbedingungen zu Ablagerungen am Metall der Kanüle führten. So treiben sowohl Druck- als auch Temperaturschwankungen Flüssigkeit in die Nadel, wo etwa auch Luftblasen entstehen können. Trocknet die Flüssigkeit aus, verbleiben Pfropfen oder Beläge im Inneren der Nadel. Hersteller, Vertreiber und Anwender sollten folglich beim Transport sowie der Lagerung der vorgefüllten Spritzen auf eine geschlossene Kühlkette und einen gleichbleibenden Druck achten. «Die Kombination der Neutronenbildgebung mit der Synchrotron-Röntgentomografie belegt das eindeutig», sagt Novak.
Text: Werner Siefer
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Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2200 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 420 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL. (Stand 06/2023)
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Originalveröffentlichung
Unraveling Pre‑filled Syringe Needle Clogging: Exploring a Fresh Outlook Through Innovative Techniques
Guangli Hu, Daniel Bonanno, Yongchao Su, Xi Zhao, Yogita Krishnamachari, William Forrest, Steven Persak, Jeffrey Givand, David Mannes, Margie Olbinado, Matthias Wagner, Christian Grünzweig, Vladimir Novak
Pharmaceutical Research, 07.02.2024
DOI: 10.1007/s11095-024-03673-7