Wahlweise elektrisch leitend oder isolierend

Hochempfindliche Röntgenstreuung zeigt, warum exotisches Material mal Metall und mal Isolator ist.

Manche Materialien bergen überraschende – und womöglich nützliche – Eigenschaften: Neodym-Nickel-Oxid ist je nach seiner Temperatur entweder ein Metall oder ein Isolator. Diese Eigenschaft macht das Material zu einem möglichen Kandidaten für Transistoren in modernen elektronischen Geräten. Um zu verstehen, wie Neodym-Nickel-Oxid den Übergang von Metall zu Isolator bewerkstelligt, haben Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der Universität Genf die Verteilung der Elektronen im Material genau untersucht. Mittels einer ausgeklügelten Weiterentwicklung der Röntgenstreuung konnten sie zeigen, dass sich die Elektronen im Bereich der Sauerstoffatome im Material umsortieren. Die Forschenden haben ihre Studie nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Thorsten Schmitt, Forschungsgruppenleiter Spektroskopie neuartiger Materialien am Paul Scherrer Institut, an der ADRESS-Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
Sara Catalano, Forscherin an der Universität Genf, Thorsten Schmitt vom Paul Scherrer Institut und Marta Gibert, Forscherin an der Universität Genf (von links nach rechts) an der ADRESS-Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)
Die zwei RIXS-Teppiche: Grafiken, die die RIXS-Spektren als Funktion der eingestrahlten Energie (Photon Energy [eV]) darstellen. Oben die Messung bei 300 Kelvin (27 Grad Celsius), wo sich das Material metallisch verhält, unten die Messung bei 15 Kelvin (minus 258 Grad Celsius), wo das Material isolierend ist. (Grafik: Valentina Bisogni et al.)
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Computer, Smartphones und jegliche elektronischen Geräte haben als Grundelemente winzige Transistoren. Diese werden bislang hauptsächlich mittels sogenannten Halbleitern realisiert. Womöglich könnten die Halbleiter aber eines Tages Konkurrenz bekommen von einer bestimmten Klasse von Oxiden. Manche dieser Materialien lassen sich nämlich zwischen Isolator und elektrisch leitendem Metall hin- und herschalten. Mit ihnen lassen sich also ebenfalls Transistoren bauen.

Um bei diesen Materialien den Phasenübergang von Metall zu Isolator grundlegend zu verstehen, haben sich Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der Universität Genf zusammen mit Wissenschaftlern der kanadischen University of British Columbia einen Vertreter dieser Materialklasse angeschaut: Neodym-Nickel-Oxid (NdNiO3). Oberhalb der Temperatur von rund 150 Kelvin (minus 123 Grad Celsius) ist das Material ein Metall und leitet somit Strom. Unterhalb dieser Temperatur dagegen ist es ein Isolator und somit nicht leitend.

Das Rätsel des Phasenübergangs

Da die Anordnung der Elektronen im Material für diese Eigenschaften verantwortlich ist, wollten die Forschenden erstens herausfinden, wie es um diese Anordnung bestellt ist. Oder, um es in der Sprache der Wissenschaftler zu sagen: Welche energetischen Zustände die Elektronen im Material einnehmen, also wie in diesem konkreten Fall die Besetzung der Nickel- und der Sauerstoff-Orbitale aussieht. In der Gesamtheit des Materials nennen wir das: seine elektronische Struktur, sagt Thorsten Schmitt vom PSI. Konkret wollten die Forschenden herausfinden, wie sich diese elektronische Struktur in seinen zwei Zuständen – Metall und Isolator – unterscheidet.

Schmitt ist Leiter der Forschungsgruppe Spektroskopie neuartiger Materialien am PSI. An der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS betreiben er und sein Team Raman-Spektroskopie mit Röntgenstrahlung. Um die elektronische Struktur des Neodym-Nickel-Oxids zu vermessen, nutzten sie eine verfeinerte Methode der resonanten inelastischen Röntgenstreuung (Resonant Inelastic X-Ray-Scattering, RIXS).

Messungen mittels hochempfindlicher resonanter Röntgenstreuung

Mit RIXS werden Elektronen im System resonant angeregt. Das bedeutet: Die Energie des eingestrahlten Röntgenlichts wird so gewählt, dass es Elektronen von einem bestimmten Elektronenorbital in ein anderes bestimmtes Orbital hebt, erklärt Schmitt. In diesem Fall wählten die Forschenden einen konkreten Elektronenübergang im Nickel. Wenn nach der Anregung die Elektronen des Systems – auf den unterschiedlichsten Pfaden – zurückfallen, senden sie Licht all jener Energien aus, die den im System vorhandenen Energieintervallen entsprechen. Über die aufgezeichneten Spektrallinien lässt sich somit die elektronische Struktur des Materials vermessen.

Um für die resonante Anregung des Nickelübergangs die einzustrahlende Energie zu ermitteln, zeichneten die Forschenden zunächst ein Absorptionsspektrum auf. Dieses offenbarte die Resonanzenergie bei rund 853 Elektronenvolt.

Die eigentliche Messung bestand dann daraus, bei vielen verschiedenen Einstrahlungsenergien RIXS-Spektren aufzuzeichnen. Hierfür nutzten die Forschenden die Möglichkeit der Energievariation an der ADRESS-Strahllinie der SLS. So nahmen sie 80 Spektren auf, die sowohl unterhalb der Resonanzenergie, auf der Resonanzenergie und schliesslich darüber lagen. Aneinandergereiht ergeben diese Spektren einen zweidimensionalen Teppich: eine Grafik, die die RIXS-Spektren in Abhängigkeit der eingestrahlten Energie darstellt.

Indem wir die eingestrahlte Energie um die Resonanz herum durchfahren, können wir unterscheiden, welcher Beitrag in unseren RIXS-Spektren durch die beim Nickel lokalisierten Elektronen kommt und welcher Beitrag von den Elektronen der Sauerstoffatome stammt, erklärt Valentina Bisogni, Erstautorin der neuen Studie, das Prinzip: Die Elektronen beim Nickel zeigen sich bei der Resonanzenergie sehr viel stärker; abseits der Resonanz sieht man dagegen den Beitrag der Elektronen des Sauerstoffes.

Der Clou: Dieses Experiment führten die Forschenden zwei Mal durch. Zunächst weit oberhalb der Übergangstemperatur: bei 300 Kelvin, also in dem Bereich, in dem das Neodym-Nickel-Oxid sich metallisch verhält. Und dann ein zweites Mal bei frostigen 15 Kelvin und damit weit unterhalb der Übergangstemperatur, im Bereich, in dem das Material als Isolator vorliegt. Schon jeder Teppich für sich zeigte den Forschenden die elektronische Struktur des Materials im jeweiligen Zustand. Und der Vergleich der beiden Teppiche offenbarte, welche Veränderung der Elektronenstruktur für den Phasenübergang von Metall zu Isolator verantwortlich ist.

Elektronen sortieren sich im Bereich der Sauerstoffatome um

Das Ergebnis: Beim Phasenübergang vom Metall zum Isolator bleibt die elektronische Struktur der Nickelatome gleich. Jedes Nickelatom ist jedoch von sechs Sauerstoffatomen umgeben und diesen sechs Atomen fehlen im metallischen Zustand insgesamt zwei Elektronen. Im isolierenden Zustand dagegen haben die sechs Sauerstoffatome alternierend ihre normale elektronische Struktur, beziehungsweise ihnen fehlen doppelt so viele – also vier – Elektronen.

Kurz gesagt: Die Änderung geschieht ausschliesslich im Bereich der Sauerstoffatome.

Theoretische Berechnungen, erklärt Schmitt, hätten schon seit ein paar Jahren darauf hingedeutet, dass die Änderungen nicht im Bereich der Nickel- sondern im Bereich der Sauerstoffatome stattfänden. Nun ist uns an der SLS ein eindeutiger experimenteller Nachweis geglückt, so Schmitt.

Mit ihrer Messung haben die Forschenden nicht nur die Ursache des Metall-Isolator-Übergangs im Neodym-Nickel-Oxid ermittelt; sie haben zugleich demonstriert, wie die RIXS-Technik eingesetzt werden kann, um allgemein komplexe elektronische Strukturen von Materialien zu bestimmen.

Dünnschicht-Herstellung an der Universität Genf

Die Materialprobe aus Neodym-Nickel-Oxid, an der die Forschenden ihre Messungen an der SLS durchführten, wurde von Kooperationspartnern an der Universität Genf hergestellt. Für die RIXS-Messungen war es unerlässlich, das Material als Einkristall vorliegen zu haben. Dies ist jedoch bisher nur als Dünnschicht realisierbar. Die Finesse der Genfer Forschenden bestand darin, durch ein geeignetes Substrat die Eigenschaften der Dünnschicht so zu manipulieren, dass sie denen eines dreidimensionalen Stücks des Materials entsprachen.

Mögliche Anwendung in Elektronik

Der Phasenübergang des Materials zwischen Metall und Isolator liesse sich nicht nur durch Temperatur, sondern auch durch das Anlegen einer elektrischen Spannung realisieren, betont Schmitt. Dies käme zum Einsatz, wenn diese Materialien eines Tages in der Elektronik Einzug halten sollten.

Derzeit sei ihre Forschung an dieser besonderen Oxidklasse noch Grundlagenforschung, sagt Schmitt. Aber dieser Schritt sei unerlässlich: Wir müssen gute Grundlagenforschung machen, um auch gute angewandte Forschung machen zu können, so der PSI-Forscher.

In Kürze:
  • Das Material Neodym-Nickel-Oxid ist je nach Temperatur ein Metall oder ein Isolator.
  • Bei rund 150 Kelvin (minus 123 Grad Celsius) wechselt es den Zustand: Oberhalb dieser Temperatur ist es metallisch, unterhalb isolierend.
  • Die Untersuchungen erfolgten bei 300 Kelvin (27 Grad Celsius, metallisch) und 15 Kelvin (minus 258 Grad Celsius, isolierend).
  • Die Untersuchungsmethode ist eine neuartige, hochentwickelte Verbesserung im Bereich der resonanten inelastischen Röntgenstreuung (Resonant Inelastic X-Ray-Scattering, RIXS).
  • Die Forschenden nahmen 80 RIXS-Spektren auf im Energiebereich rund um 853 Elektronenvolt.
  • Das Ergebnis der Studie: Die elektronische Struktur des Materials unterscheidet sich im Bereich der Sauerstoffatome; dies sorgt für die metallische beziehungsweise isolierende Eigenschaft.

Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann


Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2000 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 370 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

(Stand 05/2016)

Weiterführende Informationen
http://psi.ch/eUXy – Röntgenforschung im Ufo: die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Thorsten Schmitt
Leiter der Forschungsgruppe Spektroskopie neuartiger Materialien, Labor für Kondensierte Materie
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 37 62, E-Mail: thorsten.schmitt@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Originalveröffentlichung
Ground state oxygen holes and the metal-insulator transition in the negative charge-transfer rare-earth nickelates
V. Bisogni, S. Catalano, R. Green, M. Gibert, R. Scherwitzl, Y. Huang, V. Strocov, P. Zubko, S. Balandeh, J.-M. Triscone, G. Sawatzky, T. Schmitt
Nature Communications 11 October 2016
DOI: 10.1038/NCOMMS13017