Interview mit Beat Henrich
Herr Henrich, wie haben Sie Ihr Interesse für die Physik entdeckt?
Ich hatte als Kind furchtbare Angst im Dunkeln. Meine Mutter hat mir deshalb erklärt, woher die Geräusche kommen, die mir Angst machen, etwa das Knacken im Schrank: Das Holz bewegt sich, je nach Temperatur, wegen der darin enthaltenen Feuchtigkeit – und knackt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich immer versucht, mir die Dinge zu erklären, indem ich sie erforschte. Dieser Forscherinstinkt hat mich zur Physik gebracht.
Sie haben also kein Schülerlabor besucht und sind trotzdem Physiker geworden. Wozu braucht es dann ein iLab?
Mir fällt auf, dass die Menschen heute fast zu viele Informationen zur Verfügung haben. Wir wissen, dass wir jederzeit alles googeln können. Da wir die Informationen theoretisch bereits haben, verlieren wir den Drang, etwas zu verstehen. Im Schülerlabor wollen wir diese natürliche Neugierde wieder wecken.
Wie bringen Sie abstrakte Dinge wie Schallwellen, Vakuum oder Licht ins Schulzimmer?
Entscheidend ist, dass wir nicht mit der Formel beginnen, sondern mit einem Beispiel aus dem Alltag. Die Kinder sollen Physik über die logischen Zusammenhänge verstehen lernen. In unserem Labor zum Thema Licht etwa starten wir beim Laubblatt. Wieso erscheint ein Blatt grün? Um das herauszufinden, messen wir, welche Lichtanteile ein Blatt abstrahlt. Es sind jene im grünen Farbbereich, und zwar deshalb, weil das Blatt die anderen im Sonnenlicht enthaltenen Farben wie rot oder blau absorbiert.
Beat Henrich ist in Basel aufgewachsen und hat an der Uni Basel Physik studiert. Danach hat er am PSI doktoriert und sich mit den Detektiermethoden von geladenen Teilchen und Röntgenstrahlung beschäftigt. Durch den Umgang mit den eigenen Kindern hat er seine Begeisterung für das Unterrichten entdeckt. Nach einer pädagogischen Grundausbildung hat er deshalb seit der Eröffnung des PSI-Schülerlabors als Lehrer mitgearbeitet. Seit Ende 2012 leitet er das iLab.
Was ist Ihnen bei der Arbeit mit einer Schulklasse wichtig?
Wir wollen keine Schulsituation aufkommen lassen. Deshalb sind schon die Räume anders eingerichtet. Die Kinder arbeiten in Zweiergruppen, damit sie eigene Ideen entwickeln und Erklärungen suchen können. Wie in der Wissenschaft entstehen dabei manchmal auch falsche Annahmen, zum Beispiel, dass das Blatt grün ist, weil seine grünen Pigmente den grünen Anteil des Sonnenlichts absorbieren. Die Kinder können dies später im Experiment jedoch widerlegen. Solche Parallelen zur Forschungswelt zu zeigen, ist mir wichtig, denn ich möchte im Schülerlabor auch die Berührungsängste mit der Wissenschaft abbauen.
Woran messen Sie den Erfolg?
Die Schüler und Schülerinnen füllen am Ende des Tages einen Feedbackbogen aus. In den Rückmeldungen übertreffen wir die Resultate der Pisa-Studie bisher deutlich. Über 75 Prozent der Kinder, ob Mädchen oder Junge, gaben nach einem Tag bei uns an, Physik spannend zu finden. In der OECD-Studie sind es normalerweise knapp 50 Prozent.
Ganz direkt erfahre ich aber den Erfolg, wenn ich einen ehemaligen Schüler vom iLab als Lernenden am PSI wieder antreffe. Das ist mir tatsächlich schon passiert. Nun warte ich noch auf den ersten Forscher (lacht).
Sie haben am Jubiläumsevent „5 Jahre iLab“ dazu aufgerufen, das iLab zu kopieren. Wieso?
Für das PSI ist das iLab eine Nachwuchsschmiede. Wünschenswert wäre ein Schülerlabor pro Kanton. Dann hätten alle Schüler in der Schweiz ein solches Angebot in erreichbarer Nähe. Und auch die Themenvielfalt nähme zu. Dadurch, so hoffen wir, würden die Schulen öfters solche Lernorte besuchen. So könnten wir insgesamt mehr Kinder für Fächer wie Mathematik, Naturwissenschaften und Technik begeistern.
Das Schülerlabor am PSI wurde im Jahr 2008 eröffnet. Die Kinder und Jugendlichen sollen hier mit praktischen Experimenten Neugierde für naturwissenschaftliche Themen, wie etwa die Eigenschaften des Lichts, entwickeln. Die Besichtigung von Forschungsanlagen am PSI erlaubt es zudem, ihnen zu zeigen, wozu dieses Wissen dient und in welchen Berufen man sich damit befasst.
Wieso, glauben Sie, ist die Idee des Schülerlabors in der Schweiz noch nicht so populär wie in Deutschland?
Unser Nachbar war ein Pionier in dieser Art Nachwuchsförderung. Deshalb hat Deutschland auch einen Vorsprung: Dort gibt es bereits 300 solcher Schülerlabore, bei uns lassen sie sich an einer Hand abzählen. Das liegt aber auch daran, dass in Deutschland Grosskonzerne wie etwa Bayer oder Siemens früh gemerkt haben, dass sie Nachwuchsprobleme kriegen. Darauf haben sie selber die Initiative ergriffen. In der Schweiz scheint es für solche Strukturen sowohl in öffentlichen Forschungsnstitutionen als auch in der forschenden Industrie an Geld und Zeit zu mangeln.
Hatten Sie schon Anfragen von Institutionen, die das iLab kopieren wollen?
Kopieren nicht direkt, aber ja, im September hat der Leiter des zukünftigen Schullabors der Roche uns besucht, da die Berufsausbildungsabteilung der Roche eine ähnliche Struktur in ihrem neu entstehenden Ausbildungsgebäude in Kaiseraugst aufbauen möchte. Wir geben unser Know-how gerne weiter, von Informationen zum Management eines Schülerlabors bis zu den Unterlagen und Geräteinformationen zu den einzelnen Themen.
Sind Sie nun mehr Lehrer oder mehr Physiker?
Das kann ich so nicht sagen. Ich bin begeisterter Physiker. Deshalb war die Entscheidung, das Amt als Schulleiter zu übernehmen und als Forscher zurückzutreten, schwierig. Aber ich bin heute sehr zufrieden damit. Denn die leuchtenden Augen der Kinder, ihr Interesse und die nicht enden wollenden Fragen geben mir in etwa dasselbe Gefühl, wie die Anerkennung von Fachkollegen in der Wissenschaft. Und schliesslich kann ich den Schülerinnen und Schülern nur durch meine bisherige Arbeit als Physiker am PSI diesen Einblick in die Forschungswelt geben. Mein Traum als Physiker und Schulleiter ist es darum, einen Detektor für ultraschnell ablaufende Prozesse, einen sogenannten Pixeldetektor, im Schülerlabor zu betreiben. Das Anschauungsmaterial ginge dann von der normalen Kamera bis zur am SwissFEL verwendeten Technologie der Hochgeschwindigkeitsdetektoren, mit der wir – einfach gesagt – fotografieren können, wie Moleküle eine Verbindung eingehen.