Durchleuchtung für Paläontologen und Archäologen

Das Innere von Fossilien und Artefakten, die Hunderte, Tausende, ja manchmal Millionen Jahre alt sind, lässt sich an zwei Forschungsanlagen des PSI untersuchen. Ein Gespräch mit Federica Marone und Eberhard Lehmann, die mit ihren Methoden einen neuen Blick in die Vergangenheit eröffnen.

Frau Marone, Herr Lehmann – Paläontologen und Archäologen kommen regelmässig zu Ihnen, um mit Ihren zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden ins Innere von Fossilien und antiken Objekten zu schauen. Woher wissen sie eigentlich, dass ihre Fragen am PSI beantwortet werden können?

Marone: In unserer Arbeitsgruppe an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS begann diese Zusammenarbeit vor mehr als zehn Jahren. Mein Kollege Marco Stampanoni ist auf einen Artikel eines Professors in England aufmerksam geworden, in dem fossile Embryos eines wurmähnlichen Lebewesens vorgestellt wurden. Die Forschenden hatten diese Fossilien nur von ihrer äusseren Struktur her analysiert – an unserem Messplatz hätten sie zusätzlich auch das Innere dieser etwa einen Millimeter kleinen Kügelchen anschauen können. Deswegen hat Stampanoni die Leute kontaktiert und eingeladen: Die wussten nichts von Synchrotron und Tomografie, haben dank uns aber festgestellt, dass sie so ganz neue Erkenntnisse gewinnen konnten. Und nachdem die ersten gemeinsamen Artikel veröffentlicht wurden, haben sich auch andere Paläontologen bei uns gemeldet.

Lehmann: Bei uns war es ähnlich: Ursprünglich wusste kein Historiker, was unsere Methode kann, aber nachdem die ersten Beispiele veröffentlicht wurden, hat sich das herumgesprochen. Unsere ersten «Kunden» kamen vom Vindonissa-Museum Brugg, also nur wenige Kilometer vom PSI entfernt. Die brachten uns in den 1990er Jahren ein römisches Schwert, einen sogenannten Gladius, der damals gerade entdeckt worden war. Den haben wir analysiert und herausgefunden, dass die hölzerne Schwertscheide noch erhalten war. Zwar war diese über die Jahrhunderte so stark mit der Klinge zusammenkorrodiert, dass man sie mit blossem Auge nicht mehr erkennen konnte, aber mit den Neutronen konnten wir die Holzmaserung sehr gut sichtbar machen.

Buddha Shakyamuni, 14. oder 15. Jhd. n. Chr.

Rechte Seite: In Schwarz-Weiss gezeigt ist ein Neutronen-Durchleuchtungsbild, das vor allem in der unteren Hälfte des Hohlraums die eingeschlossenen Pflanzenteile offenbart. Die zudem sichtbare, gerade, oben spitz zulaufende Struktur ist aus Holz und symbolisiert den Lebensbaum.
Linke Seite und Mitte: Zwei weitere Darstellungen derselben Statue; dreidimensionale digitale Rekonstruktionen mit virtuellem Anschnitt.
Buddha Shakyamuni, 14. oder 15. Jhd. n. Chr. Sitzende Buddha-Statue aus West-Tibet, 15 Zentimeter hoch, aus Messing und Kupfer gefertigt, originalverschlossen.
Abbildungen: Paul Scherrer Institut / Gruppe Neutronenradiografie und Aktivierung

Was kann man durch die Messmethoden, die am PSI angewendet werden, noch über antike Objekte oder paläontologische Proben herausfinden?

Marone: Mit Röntgentomografie können wir das Innere von Gegenständen und Materialien untersuchen, ohne sie zu zerstören. Das ist sowohl für die Archäologie als auch für die Paläontologie wichtig, denn oft sind die Objekte einzigartig. Manchmal geht es aber nicht anders und die Paläontologen planen, eines ihrer Fossilien anzuschneiden. Dann bringen sie diese vorher zu uns, um mit Hilfe unserer Bildgebung zu entscheiden: Welches davon sollten sie anschneiden und wo genau, damit im Inneren möglichst wenig zerstört wird.

Andererseits können diese Forschenden schon durch das Betrachten unserer Bilder unglaublich viel über die Entwicklung von Pflanzen und Tieren herausfinden. Zum Beispiel haben wir Untersuchungen über verknöcherte Kiefer einiger prähistorischer Fischarten gemacht, und da konnte man sehr genau das Gewebe, die Zellen und alle Wachstumslinien sehen. Daraus konnten unsere Forschungspartner Schlüsse über die evolutionäre Entwicklung des Kiefers ziehen und feststellen: Zähne sind gleichzeitig oder zumindest kurz nach dem Kiefer vor mehreren hundert Millionen Jahren entstanden.

Lehmann: Die Röntgentomografie hat ihren «Pool» an Partnern und wir mit der Neutronenstrahlanalyse haben einen etwas anderen – wir haben deutlich mehr Historiker als Paläontologen. Das ergibt sich aus der Methodik: Während die Röntgentomografie eher auf die mikroskopischen Strukturen schaut und sehr ins Detail gehen kann, arbeiten wir auf einer gröberen Skala. Und: Mit den Neutronen werden ganz andere Materialien «durchsichtig» als mit den Röntgenstrahlen.

Bildgebung mit Röntgenstrahlen und Neutronen

Bildgebung mit Röntgenstrahlen und Neutronen am PSI. Grafik: Studio HübnerBraun
Sowohl Röntgenlicht als auch Strahlen von geradlinig fliegenden Neutronen können Objekte «durchleuchten», wodurch sich zerstörungsfrei ihr Inneres abbilden lässt.

Ähnlich wie beim medizinischen Röntgen ergibt sich das Bild als eine Art Schatten des Objekts. Dabei sind je nach Material und Fragestellung entweder Röntgen- oder Neutronenstrahlen besser geeignet. Ein markanter Unterschied ist, dass Neutronen sichtbar machen können, was hinter Metall verborgen liegt, wohingegen Röntgenstrahlen grösstenteils von Metall blockiert werden.

Zusätzlich zu Durchleuchtungsbildern lässt sich mit beiden Strahlungsarten auch eine dreidimensionale, virtuelle Rekonstruktion des Objekts erstellen. Dafür wird es zunächst wiederholt aus jeweils verschiedenen Richtungen durchleuchtet; am Ende werden alle gesammelten Daten am Computer zu einem sogenannten Tomogramm zusammengeführt.

Am PSI steht extrem intensive Röntgenstrahlung an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS zur Verfügung, die hochauflösende Bilder ermöglicht. Die Spallations-Neutronenquelle SINQ erlaubt derweil die vergleichsweise seltene Bildgebung mit Neutronen.

Was war die grösste Überraschung, die Sie während Ihrer Arbeit mit historischen Objekten erlebt haben?

Lehmann: Das war ganz sicher die Untersuchung buddhistischer Statuen. Die kann man mit Röntgen nicht gut durchleuchten, weil sie aus Metall sind. Mit Neutronen sieht man aber: Die Statue ist hohl, und darin befinden sich Holz, Textil und auch Pflanzenmaterial, zum Beispiel Blumen. Wir machen das in Zusammenarbeit mit Michael Henss, der Experte für das Thema ist. Er hat mit uns viele dieser Buddhas untersucht – und das war für mich ein Aha-Erlebnis, was da so drin sein kann. Und dann waren wir natürlich neugierig und haben weitergeschaut. Wir haben inzwischen mehr als 60 solcher Statuen untersucht. In manchen waren Schriftrollen, in anderen Edelsteine, ganz unterschiedliche Sachen also.

Marone: Eine überraschende Erkenntnis, die bei uns vor Kurzem zutage kam, war, dass es Pilze schon viel länger gibt, als bisher angenommen. Bisher hat man gedacht, dass sie etwa 400 Millionen Jahre alt sind. Aber jetzt haben Partner von uns Spuren von Pilzen in Gesteinsschichten gefunden, die bis zu 2,4 Milliarden Jahre alt sein könnten. Die Pilze sind in Rissen und Bläschen im Gesteinsinneren gewachsen. Ihre in den Rissen verzweigten und verwickelten Filamente sind als Fossilien erhalten geblieben. Das vergleichen die Paläontologen mit heutigen Pilzen und können dadurch die biologische Einordnung vornehmen.

Lehmann: Das Alter erkennt man daran, aus welcher Gesteinsschicht die Probe kam?

Marone: Genau. Die Gesteinsschicht wurde radiometrisch datiert, also anhand von natürlich darin vorkommender kleiner Mengen Blei und Uran. Ich bin immer fasziniert, welches Wissen diese Paläontologen haben. Sie kennen die Gesteine genauso perfekt wie die Biologie und Evolution und bringen das alles in Zusammenhang.

Lehmann: Das stimmt, man lernt bei dieser Arbeit wirklich sehr interessante Leute kennen – Menschen, die so einen hohen Bildungsstand erreicht haben, sind oft auch Typen für sich. Sicherlich finden sie umgekehrt auch uns ein wenig verschroben!

Wenn man in die Hallen von der Neutronenanalyse und der Röntgentomografie kommt, dann ist da ja alles sehr gross und technisch – eher ungewohnt für Ihre Kooperationspartner, nehme ich an?

Marone: Ja, das stimmt schon. Wir versuchen immer, alles so einfach wie möglich zu gestalten und Hilfestellung zu geben, sodass unsere externen Partner sich bei uns zurechtfinden.

Lehmann: Partner, die schon ein paar Mal bei uns waren, machen inzwischen schon ihre eigenen Untersuchungen. Einige haben ganze Projekte, sogar Doktorarbeiten, am Laufen und kommen regelmässig wieder. Andere bringen auch einfach eine Probe, die wir dann untersuchen, denn wir wollen keine vollkommenen technischen Laien an unsere Geräte lassen.

Marone: Bei uns funktioniert das meistens schon. Wir helfen den externen Forschenden vor allem am Anfang, die richtigen Einstellwerte zu finden und erklären, wie das Gerät zu benutzen ist.

Lehmann: Manche unserer Benutzer kommen nur einmal, mit einer einzigen Probe ...

Marone: Oh, bei uns kommen manchmal welche mit hundert Proben auf einmal an. Ich selber fasse die Proben nie an, denn solche uralten Fossilien sind wie gesagt einzigartig und einige gehören Museen. Ich möchte nicht verantwortlich sein, wenn etwas damit passiert. Die Forscher montieren bei uns ihre Proben selbst.

Was muss man tun, um mit so einer anderen Wissenschaftskultur eine gemeinsame Sprache zu finden?

Lehmann: Voneinander lernen. Der Archäologe muss lernen, wie unser Tomografiebild interpretiert werden kann, und wir, was für Materialien und Methoden in einer bestimmten Zeit existierten. Manchmal stellen wir auch fest, dass wir gar nicht die richtigen Ansprechpartner sind, zum Beispiel, wenn etwas zu filigran ist. Dann schicken wir die zur SLS weiter. Deswegen ist der Dialog hier innerhalb des PSI auch ganz wichtig.

Marone: Auch bei uns funktioniert der Dialog ziemlich gut – unsere Partner sind meistens positiv interessiert, und wir wissen inzwischen auch, was realistisch ist und was nicht geht.

Eine letzte Frage: Gibt es ein Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Marone: Das ist jetzt eine etwas spezielle Geschichte. Die Paläontologen, wenn sie bei uns untersuchen, entdecken ja immer wieder neue Arten, die sie dann benennen dürfen. Und eine Pflanzenart haben sie nach unserer Strahllinie Tomcatia genannt ...

Lehmann: Nicht nach dir?

Marone: Doch, nach mir wurde auch eine Art benannt, das Lignierispermum maroneae, und nach meinem Kollegen Marco Stampanoni gibt es jetzt das Lobospermum stampanonii. Das war schon etwas ganz Besonderes für uns.

Lehmann: Mich begeistert ganz allgemein immer wieder die gute Zusammenarbeit mit den Archäologen. Zum Beispiel sind die Leute am Museum in Avenches vor Kurzem nach einer neuen Ausgrabung mit ihren Metallfunden direkt zu uns gekommen. Das zeigt mir, wie sehr unsere Methode und der Beitrag, den wir damit in der Archäologen-Szene leisten können, sich dort inzwischen etabliert haben. 

Lignierispermum maroneae, 110 Mio. Jahre alt

Fossiles Samenkorn, das erstmals am PSI untersucht wurde und nach der beteiligten PSI-Forscherin Federica Marone benannt wurde.

Mittels Röntgen-Mikrotomografie entstand eine komplette, detaillierte 3-D-Rekonstruktion des gut zwei Millimeter langen Samenkorns.

Hier dargestellt ist diese digitale Rekonstruktion mit einem virtuellen Schnitt im oberen Bereich, der den Blick ins Innere des Samenkorns freigibt.
Lignierispermum maroneae, 110 Mio. Jahre alt.
Abbildung: Naturhistoriska riksmuseet / Else Marie Friis

Zu den Personen

Foto: Scanderbeg Sauer Photograpy
Federica Marone ist Jahrgang 1975 und wuchs im Tessin auf. Sie studierte Erdwissenschaften an der ETH Zürich, wo sie auch promovierte. Seit 2006 ist sie Strahllinienwissenschaftlerin an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI. Gemeinsam mit externen Forschenden untersucht sie hier mit Röntgenstrahlen regelmässig paläontologische Proben, aber auch neue Batteriematerialien und Brennstoffzellen.
Eberhard Lehmann wurde 1952 in Sachsen geboren, studierte und promovierte dort in Physik. 1991 kam er ans PSI, wo er an der Spallations-Neutronenquelle SINQ des PSI die Bildgebungstechniken mit Neutronen weiterentwickelte und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2017 eine eigene Forschungsgruppe leitete. An deren Mess- plätzen werden sowohl antike Objekte durchleuchtet als auch Autobauteile, Pflanzen- wurzeln und vieles andere.

Interview: Luise Loges