Für die Entdeckung und Charakterisierung des Wundermaterials Graphen – eine genau 1 Atom dünne Schicht aus Kohlenstoff – erhielten zwei russischstämmige Physiker im Jahr 2010 den Nobelpreis und viel Medienrummel. Graphen ist ein in vielerlei Hinsicht aussergewöhnliches Material: es weist eine über hundertmal grössere Zugfestigkeit als Stahl, wiegt dabei aber auf einer hypotetischen Fläche von 1 Quadratkilometer weniger als ein Kilogramm; seine sehr hohe elektrische Leitfähigkeit macht ihn zum Kandidaten für die nächste Generation von Transistoren. Und die Liste der Vorzüge liesse sich noch seitenweise verlängern. Seit der ersten Isolierung von Graphen stürzten sich deshalb weltweit Wissenschaftler auf die Suche nach Anwendungen. Forscher am Paul Scherrer Institut PSI haben nun die Grundlagen für einen Graphen-basierten Superkondensator erarbeitet. Mit dessen Hilfe liesse sich etwa die Lebensdauer von Batterien in Hybridautos deutlich verlängern.
Supercaps – der Speicher für den schnellen Kick
Superkondensatoren – in der Fachwelt auch Supercaps oder Ultracaps genannt – sind wie Batterien Energiespeicher, ihre Funktionsweise basiert aber vor allem auf rein elektrostatischen Kräften. Das heisst: anders als bei Batterien ist hier keine Chemie im Spiel. Vielmehr binden sich die Ionen des Elektrolyts durch elektrische Anziehungskräfte an die Elektrodenoberfläche und bilden dadurch eine nur einige Nanometer dicke Doppelschicht. Davon leitet sich die für Superkondensatoren ebenfalls übliche Bezeichnung „Doppelschichtkondensator“ ab. Durch An- bzw. Abschalten einer an die Elektroden angelegten elektrischen Spannung können die Supercaps sehr schnell auf- und entladen werden. Das ist der Grund für ihre hohe Leistungsdichte, d.h. die Fähigkeit grosse Energiemengen in kurzer Zeit aufzunehmen oder abzugeben.
Für Anwendungen wie das „regenerative Bremsen“, das bei Hybridautos die Rückgewinnung und Speicherung der bei Bremsvorgängen sonst verlorenen Energie ermöglicht, sind Supercaps wie geschaffen. Denn dieser Prozess erfordert die Aufnahme von viel Energie in Sekundenbruchteilen – eine Aufgabe, die Batterien nur mit merklichem Verschleiss und entsprechenden Einbussen ihrer Lebensdauer erfüllen können. Mancher Autohersteller möchte deshalb die Supercaps das schnelle Speichern erledigen lassen und so die Batterie schonen. Andere wiederum haben schon jetzt Supercaps an Bord, die die ebenfalls auf Schnelligkeit angewiesene Start-Stop-Automatik eines Dieselfahrzeugs mit Energie versorgen. Ein weiteres Einsatzgebiet für Supercaps besteht in der Abschaltregelung von Windturbinen, die bei Sturmwetter innerhalb weniger Minuten kontrolliert heruntergefahren werden müssen, um Schäden an der Struktur zu vermeiden. Schnell und verlässlich muss auch die Öffnung der Notfalltüren in Passagierflugzeugen geschehen: im Airbus 380 erledigen dies Supercaps.
Supercaps glänzen zudem in Sachen Langlebigkeit: Da sie auf chemische Reaktionen verzichten, kommt es kaum zur Abnutzung des Elektrodenmaterials. Ein Superkondensator kann mehrere Millionen Mal ohne merkliche Funktionsstörungen aufgeladen werden. Für die meisten Zwecke ergibt das eine Lebensdauer von 10 bis 20 Jahren - im Gegensatz zu 2 bis 3 Jahren für die besten Akkus.
Als Elektrodenmaterial für Supercaps hat sich über die letzten Jahrzehnte Aktivkohle etabliert. Aktivkohle bietet aufgrund ihrer verästelten Porenstruktur die Fläche eines Fussballfeldes bei nur zwei bis drei Gramm Gewicht. Die grosse verfügbare Fläche bietet reichlich Platz für das Andocken vieler Ionen, aber die verwinkelte Struktur von Aktivkohle führt dazu, dass diese Fläche nur zum Teil zugänglich ist. Das Potenzial von Aktivkohle als Speichermaterial ist deshalb begrenzt und die Suche nach Alternativen läuft zurzeit in vielen Labors rund um den Globus.
Eine Graphen-Elektrode für Hochleistungs-Supercaps
Forscher am PSI haben ihre Hoffnungen in Graphen gesetzt. Ihre Auswahl gründet auf der Tatsache, dass Graphen die theoretisch grösste mit Kohlenstoff erreichbare Oberfläche pro Gewichteinheit bietet und dies für die Vergrösserung der Speicherkapazität von Superkondensatoren den entscheidenden Faktor darstellt. Der Doktorierende Moritz Hantel und sein Betreuer Rüdiger Kötz haben zusammen mit Forschern der Gruppe von Reinhard Nesper an der ETH Zürich eine Graphen-basierte Elektrode hergestellt und charakterisiert, die für den Einsatz in Supercaps verheissungsvoll anmutet. Statt der labyrintischen Gänge der schwammartigen Aktivkohle geschieht die Speicherung in ihrem „Graphenpapier“ auf flachen übereinander gestapelten Schichten. Für die Herstellung der „Graphenblätter“ verwendeten die Wissenschaftler einen speziellen Filtrierungsprozess („flow-directed filtration“, zu Deutsch: Fluss-gerichtete Filtrierung). Dabei wird zuerst Graphitoxid in Wasser verteilt und mit Hilfe von Ultraschall in einzelne Schichten (Graphenoxid) zerlegt. Diese Graphenoxid-Dispersion wird anschliessend über ein Filterpapier filtriert („abgenutscht“). Durch das Filtrieren orientieren sich die einzelnen Graphenlagen zufällig übereinander und erzeugen dabei eine papierähnliche Struktur von sich überlappenden Graphenschichten.
Das so synthesierte Graphenoxid-Papier bietet nun zwar viel Platz für das Andocken von Ionen eines Elektrolyts, wäre aber für den Einsatz in einem Kondensator unbrauchbar. Der Grund ist seine geringe elektrische Leitfähigkeit, die letztendlich für das Abführen von beweglichen Elektronen (elektrischer Strom) entscheidend ist. Um dem Graphen-Papier eine höhere elektrische Leitfähigkeit zu verleihen, wird das Material einer „thermischen partiellen Reduktion“ unterzogen. Das geschieht durch kontrolliertes Heizen der Graphenoxidmembran und führt dazu, dass das Kohlenstoffgerüst sowohl reduziert wird wie auch Teile davon zu CO und CO2 oxidiert werden. Im Ergebnis gewinnt die Kohlenstoff-Struktur deutlich an Leitfähigkeit. Der Vorteil dieser „thermischen Reduktion“ im Vergleich zur gewöhnlichen „chemischen Reduktion“ ist zum Einen die Vermeidung von Verunreinigungen, die bei Letzterer entstehen. Zum Anderen haben vorherige Untersuchungen gezeigt, dass thermisch reduziertes Graphenoxid eine bessere Leitfähigkeit besitzt als chemisch reduziertes.
Am Ende der Verarbeitung steht ein für die Speicherung von Ionen hervorragendes Material zur Verfügung. Die erhöhte Fähigkeit, Ionen aufzunehmen und abzugeben rührt daher, dass sich der Abstand zwischen den Graphenschichten im Vergleich zum Ausgangsmaterial verdoppelt. Wie das genau zustandekommt, weiss man nicht. Eine chemische Reaktion zwischen dem organischen Elektrolyten und Graphen scheint eine Art feste „Säule“ zu erzeugen, die die Graphensichten in einem fixen Abstand auseinander hält, so vermuten die Forscher. Durch den vergrösserten Abstand können nun Ionen in den Leerraum zwischen den Graphenlagen leichter ein- und austreten. Die Fläche zwischen den Schichten kann zwar nicht gemessen werden, daher können Forscher ihr Material in Sachen spezifische Oberfläche nicht mit Aktivkohle vergleichen. Fest steht aber, dass die spezifische Kapazität ihrer Graphenelektrode mit rund 200 Farad (Masseinheit für die elektrische Kapazität) pro Gramm zu den höchsten gehört, die in der Fachliteratur zu finden sind.
Zurzeit sind die Wissenschaftler daran, eine Erklärung für die Ausdehnung der Graphenstruktur, die das erhöhte Speichervermögen erst ermöglicht, zu finden. „Der Nachweis der vermuteten „Säule“ zwischen den Graphenschichten könnte bereits in den kommenden Monaten gelingen“, sagt Hantel. Daran sollten sich weitere Untersuchungen anschliessen, um auch die Langlebigkeit des Materials unter die Lupe zu nehmen. Für die Erfolgsgeschichte des hauchdünnen Kohlenstoffmaterials Graphen tut sich hier also ein aufregendes neues Kapitel auf.
Text: Leonid Leiva
Originalveröffentlichung
Partially Reduced Graphene Oxide Paper: A Thin Film Electrode for Electrochemical Capacitors, Moritz M. Hantel, Tommy Kaspar, Reinhard Nesper, Alexander Wokaun and Rüdiger Kötz, J. Electrochem. Soc. 2013, Volume 160, Issue 4, Pages A747-A750. (DOI: http://jes.ecsdl.org/content/160/4/A747)Kontakt / Ansprechpartner
Dr. Rüdiger Kötz, Leiter der Gruppe Elektrokatalyse und Grenzschichten, Paul Scherrer Institut,Telefon: +41 56 310 20 57, E-Mail: ruediger.koetz@psi.ch