Am Jungfraujoch untersuchen PSI-Wissenschaftler Feinstaubpartikel. Und müssen damit klarkommen, dass der menschliche Körper nicht für ein Leben auf 3500 Meter über dem Meer gemacht ist.
Auf den letzten neun Kilometer, die die Bahn durch einen Felstunnel steil bergauf fährt, wird der Kopf leicht. Der sinkende Luftdruck lässt die Schläfen pochen. Martin Gysel schmunzelt. «Auch Leuten, die nicht zum ersten Mal hochfahren, wird hier oft noch übel.»
Zum Glück ist dies schon der Endspurt zum Jungfraujoch, rund 3500 Meter hoch gelegen zwischen Mönch und Jungfrau in den Berner Alpen. Neben Gysel, Leiter der Forschungsgruppe für Aerosolphysik am Paul Scherrer Institut, sitzen der Techniker Günther Wehrle sowie der Umweltingenieur Benjamin Brem. Ausser ihnen befinden sich noch etliche Touristen in der Jungfraubahn: Rund eine Million Menschen besuchen jährlich das Jungfraujoch.
Schliesslich kommen die Waggons mit einem kleinen Ruck zum Halt. Europas höchstgelegene Bahnstation ist erreicht. Die Touristen steigen aus und strömen zur Aussichtsplattform oder in den Eispalast: ein ins Gletschereis gehauener Rundgang aus Gängen und Hallen.
Gysel, Wehrle und Brem dagegen schnappen sich ihre Rucksäcke und gehen zu einer unscheinbaren Gittertür. Dahinter beginnt ein nicht öffentlicher Bereich: Die hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch, die 1931, rund zwanzig Jahre nach Eröffnung der Jungfraubahn, in Betrieb genommen wurde. Benjamin Brem, Neuzugang in der Forschungsgruppe von Martin Gysel, ist heute zum ersten Mal hier. Er soll den entlegensten Aussenposten des PSI kennenlernen, denn er wird von nun an für das zentrale Projekt in Gysels Gruppe am Jungfraujoch zuständig sein: die Langzeitmessreihe zu Aerosolpartikeln.
Aerosole, besser bekannt als Feinstaub, sind neben CO2 und Methan ein weiterer Faktor der menschengemachten Klimaveränderung. Doch während die beiden Gase grundsätzlich zur Erwärmung des Klimas führen, sind die Auswirkungen der Aerosole komplexer und teilweise sogar gegenläufig. «Wegen der vielfältigen Eigenschaften der Aerosole ergibt sich hier noch die grösste Unsicherheit der Klimavorhersagen. Darum braucht es gerade hier noch viel Forschung», sagt Gysel.
Zunächst gehen die drei Forschenden in den Wohnbereich der Station. Wissenschaftler aus ganz Europa und Lokführer der Jungfraubahn übernachten oft hier – bis zu dreizehn Personen lassen sich zeitgleich beherbergen. Das Forschungslabor der Station, die von einer internationalen Stiftung betrieben wird, liegt im Sphinx-Observatorium, dem höchstgelegenen Gebäude am Jungfraujoch, das mit seiner Kuppel und Aussichtsterrasse das Wahrzeichen der Bergstation bildet. Hier forschen auch Wissenschaftler der Empa und der Uni Bern. Mit ihnen arbeiten die PSI-Forschenden regelmässig wissenschaftlich zusammen.
Im Maschinenraum
Der Weg vom Wohnbereich zur Sphinx führt mitten durchs Territorium der Touristen. Als dieses durchschritten ist und Gysel eine weitere Gittertür öffnet, will ein neugieriger Besucher mit ausgezogenem Selfiestick mit hinein. «Sorry, only for scientists», sagt Gysel. Ein Fahrstuhl bringt das Forschertrio hoch in die Spitze der Sphinx. Während eine Etage unter ihnen die Touristen Fotos vom Alpenpanorama schiessen, T-Shirts oder teure Uhren kaufen, machen sich die drei Forscher an die Arbeit.
«Jacken ausziehen», empfiehlt Techniker Wehrle. Trotz Minustemperaturen vor den Fenstern fühlt es sich hier im Forschungsbereich an wie in einem Maschinenraum: Dutzende Messgeräte und Computer brummen vor sich hin, es ist warm und laut. Deshalb reden die drei auch nur das Nötigste, während sie Geräte überprüfen und einige neu kalibrieren.
«Ruf im Zweifelsfall im PSI an. Die haben da unten mehr Sauerstoff im Hirn.»
Der menschliche Körper ist nicht für Arbeit auf 3500 Meter über dem Meer konzipiert. Schon das Treppensteigen erschöpft. Die Konzentration lässt schnell nach. Viele kennen die Geschichte eines Übernachtungsgastes auf der Station, der eines Abends Spaghetti zubereiten wollte. Erst als alle hungrig am Tisch sassen, realisierte er, dass er lediglich Wasser gekocht hatte. Und Wehrle weiss aus eigener Erfahrung: «Manchmal grübelst du eine halbe Stunde über einem Problem, das normalerweise in einer Minute gelöst wäre», sagt der Techniker.
«Habt ihr einen Tipp, wie man das verhindert?», fragt Brem, der bis vor Kurzem auf 440 Meter Höhe gearbeitet hat: bei der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt Empa in Dübendorf. Wehrle zuckt die Schultern. «Mach eins nach dem anderen», rät er. «Und ruf im Zweifelsfall im PSI an. Die haben da unten mehr Sauerstoff im Hirn.»
Forschen in der Troposphäre
Während die beiden ein Messgerät kalibrieren, nimmt Gysel eine Palette mit kleinen Filtern hervor, mit denen Atmosphärenforschende Aerosole einsammeln. Der Filter vom Jungfraujoch ist leicht beige, jener aus der Stadt pechschwarz. «Die Konzentration etwa von Russpartikeln ist in einer Stadt teilweise um den Faktor tausend grösser», sagt Gysel.
Dank seiner Höhe lässt sich am Jungfraujoch sehr gut erforschen, wie sich die kurzlebigen Partikel auf dem Weg von der Erdoberfläche in die höheren Schichten der Atmosphäre verändern und dort schliesslich die Wolkenbildung beeinflussen. Benjamin Brem hat deshalb eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen: Die PSI-Messreihe zu Aerosolpartikeln findet seit über zwanzig Jahren im Verbund mit weiteren dreissig Messstationen weltweit statt. «Damit erhalten wir einzigartige, weil grossflächige Einblicke in die Abläufe in der Atmosphäre und können bessere Grundlagen für die Klimaforschung liefern», sagt Gysel.
Längere Aufenthalte in der Forschungsstation und der dünnen Luft bleiben den Forschenden aber zunehmend erspart. Dank der Automatisierung lassen sich die Messinstrumente grossteils vom PSI in Villigen aus kontrollieren, kleine Störungen behebt einer der Betriebswarte der Forschungsstation. Die PSI-Forschenden reisen nur noch für komplexere Arbeiten an, etwa um die Instrumente für eine spezifische Fragestellung neu einzurichten.
Kurz nach neun Uhr am Abend ihres ersten Tages auf dem Jungfraujoch kehren Brem und Wehrle schliesslich nach unten in den Wohnbereich zurück. Dort sitzt bereits Martin Gysel am Laptop und schreibt den Wartungsbericht.
Benjamin Brem ist mit der dünnen Luft besser zurechtgekommen als manch anderer vor ihm. «Nur den hier» – lächelnd tippt er auf den Kugelschreiber in der Brusttasche seines Karohemds – «habe ich den ganzen Tag gesucht.»
Text: Joel Bedetti