Gefrorenes Klimagedächtnis

Klimaforschung im Altai: der Bergführer Beat Rufibach und PSI-Forscherin Margit Schwikowski nehmen den Eiskern aus dem Bohrer heraus.

In Gletschereis können Informationen über das Klima und die Zusammensetzung der Atmosphäre in vergangenen Jahrhunderten gespeichert sein – in der Antarktis und Grönland genauso wie im Hochgebirge. Ein solcher Gletscher entsteht, wenn sich in kalten und niederschlagsreichen Gebieten über die Jahre immer wieder neue Schichten von Schnee ansammeln und zunehmend vom eigenen Gewicht zusammengepresst werden. So sammeln sich im Gletschereis Informationen über Vulkanausbrüche, Saharastürme, Waldbrände, Umweltverschmutzung und sogar über die Temperaturen in der Vergangenheit an.

Um an die gespeicherten Informationen zu kommen, unternehmen Forschende des Labors für Radio- und Umweltchemie am Paul Scherrer Institut regelmässig Forschungsreisen in verschiedene Gebiete – die Schweizer Alpen, das zentralasiatische Altaigebirge, Südamerika oder Spitzbergen – um dort Eisbohrkerne zu entnehmen. Ein solcher Eisbohrkern ist gewissermassen eine Eissäule, die in etwa 70 cm langen Segmenten aus dem Gletscher herausgebohrt wurde, und im Idealfall von dessen Oberfläche bis zum Felsen darunter reicht. Der Bohrkern muss dann im gefrorenen Zustand ins Labor nach Villigen transportiert werden und liefert dort zahlreichen Forschenden Einblicke in verschiedene Aspekte der Klimavergangenheit.

An diese Einblicke zu kommen ist ein ausgesprochen aufwändiger Prozess. Der Bohrkern wird zunächst längs in mehrere Stücke geteilt, die für Forschende gedacht sind, die sich für verschiedene Aspekte der Atmosphärengeschichte interessieren. Jeder, der ein Stück von dem Kern bekommt, muss es zunächst in einem Kühlraum bei minus 20 Grad Celsius in mehrere tausend feine Scheiben schneiden, jede Scheibe schmelzen und auf die chemische Zusammensetzung untersuchen, um so den Gehalt der Atmosphäre an bestimmten Stoffen in der Vergangenheit zu bestimmen – etwa Asche von Vulkanausbrüchen oder Stoffe, die durch industrielle Produktion in die Atmosphäre gelangt sind.

Vor der eigentlichen Untersuchung steht aber ein weiteres schwieriges Unterfangen: die Datierung – die Aufgabe festzustellen, welchen Zeiten die unterschiedlichen Schichten des Eisbohrkerns entsprechen. Zum Teil kann man in oberflächennahen Teilen tatsächlich einzelne Jahresschichten beobachten – ähnlich den Baumringen. Oftmals helfen auch historisch belegt Ereignisse, wie etwa heftige Stürme, die Sand aus der Sahara bis in die vergletscherten Berggebiete getragen haben.

Vergangene Temperaturen

Einem Eisbohrkern kann man nicht nur Informationen über die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre in der Vergangenheit entnehmen. Auch der Temperaturverlauf kann im Eis Spuren hinterlassen. Um diese Spuren zu finden, sieht man sich den Sauerstoff in den Wassermolekülen des Eises (das O im H2O) an, der darin in zwei Isotopen vorkommt: als 16O und als schwereres 18O. Wenn Wasser verdampft, steigen die Wassermoleküle mit dem 16O leichter aus dem flüssigen Wasser auf als die anderen, so dass im Dampf der Anteil des 16O grösser ist als im Wasser. Andererseits kondensieren die schweren Moleküle zuerst. Diese Effekte führen dazu, dass das Verhältnis von leichteren und schwereren Wassermolekülen im Gletschereis von der lokalen Temperatur abhängen kann. Ob es das wirklich tut muss man aber im Einzelfall prüfen, denn weitere Faktoren könnten das Mengenverhältnis der beiden Isotope beeinflussen.

Untersuchungen an einem Eisbohrkern, den PSI-Forschende im Jahr 2001 im sibirischen Altaigebirge gebohrt haben, liefern interessante Ergebnisse über Klimaveränderungen in stark kontinentalen Gebieten der Erde. Der Verlauf des im Eisbohrkern gemessenen Verhältnisses 18O/16O stimmte sehr gut mit vorhandenen Temperaturmessungen der vergangenen 150 Jahre überein. So kann man annehmen, dass dieses Verhältnis auch weiter zurück in der Vergangenheit ein Mass für die Temperatur ist. Über die Messung der Sauerstoffisotope im Eis wurde somit der Temperaturverlauf seit dem Jahr 1250 rekonstruiert. Aus den Ergebnissen konnten die Forschenden schliessen, dass die Temperatur im Altai bis etwa 1850 mit einer Verzögerung von rund 20 Jahren den Schwankungen der Sonnenaktivität folgte. Der seither beobachtete Temperaturanstieg kann aber nicht mehr alleine mit dem schwankenden Einfluss der Sonne erklärt werden, sondern wird zu einem wesentlichen Teil auf die vom Menschen erzeugten Treibhausgase zurückgeführt.