Marco Stampanoni, Zhentian Wang und ihr Team sind für den diesjährigen Europäischen Erfinderpreis nominiert. Seit über zehn Jahren forschen die beiden Wissenschaftler am PSI und an der ETH Zürich an besseren Diagnosemethoden für die Früherkennung von Brustkrebs. Ihre Arbeit wird mit dieser prestigeträchtigen Nominierung geehrt. Die Gewinner werden an der Preisverleihung vom 21. Juni bekanntgegeben.
Seit 2006 ehrt das Europäische Patentamt jährlich Persönlichkeiten, die mit ihren bahnbrechenden Erfindungen zum technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt unserer Gesellschaft beitragen und damit unseren Alltag wesentlich verbessern. Fünf Kategorien mit je drei Nominierungen stehen auf der Liste. Marco Stampanoni und Zhentian Wang gehören zu den Finalisten in der Kategorie der Nicht-EPO-Staaten – in dieser Kategorie werden Erfindungen anerkannt, die von Mitgliedstaaten ausserhalb der Europäischen Patentorganisation oder mit deren Zusammenarbeit entwickelt wurden.
Die beiden Wissenschaftler haben eine neuartige Diagnosemethode entwickelt, mit der sich Brustkrebs zuverlässig und schmerzfrei diagnostizieren lässt. Ihre Erfindung basiert auf der sogenannten Phasenkontrast-Bildgebung. Dabei handelt es sich um ein Röntgenverfahren, das nicht nur detektiert, wie viel Strahlung vom Gewebe absorbiert wird, sondern auch, wie sich die Strahlung durch das Passieren von unterschiedlichen Gewebearten in ihrer Richtung verändert. Diese zusätzlichen Informationen können detektiert und zu einem Bild verarbeitet werden. «Unsere Diagnosemethode führt zu äusserst scharfen, detail- und kontrastreichen Bildern, worauf sich etwaige Vorstufen von Brustkrebs, wie Kalkablagerungen, Verdickungen oder Asymmetrien, besser als bei der herkömmlichen Mammografie erkennen lassen», so Marco Stampanoni.
Das Problem mit der herkömmlichen Methode
Viele Staaten setzen auf sogenannte Screening-Programme, bei denen sich Frauen ab einem bestimmten Alter in regelmässigen Abständen auf Brustkrebs voruntersuchen lassen können. Eine solche Voruntersuchung verläuft meist über ein Röntgenverfahren, eine sogenannte Mammografie. Hierbei wird die Brust zwischen zwei Plexiglasplatten zusammengedrückt und mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Schattenwurf: Die Strahlung geht grösstenteils durch die Brust hindurch, nur ein kleiner Teil wird vom Gewebe absorbiert. Da Verhärtungen und Kalkablagerungen dichter sind als das umliegende Gewebe, absorbieren diese Regionen auch mehr Strahlung. Dieser Unterschied wird dann detektiert. Man erhält dabei ein typisches Röntgenbild, auf dem verdächtige Regionen heller erscheinen als gesundes Gewebe.
Was in der Theorie simpel klingt, ist in der Praxis überhaupt nicht einfach. Verhärtungen in der Brust lassen sich nur sehr schwierig deuten, da sich die Dichten der unterschiedlichen Gewebe kaum voneinander unterscheiden. Liegt ein Verdacht vor, so sind weitere bildgebende Methoden wie Magnetresonanztomografie oder Ultraschall nötig. Ein eindeutiges Urteil liefert schlussendlich nur die Biopsie.
Diese Schwierigkeit führt zu vielen falsch-positiven Ergebnissen und dadurch zu unnötiger psychischer Belastung für die betroffenen Frauen. Etwa 8 von 10 Verdachtsfälle erweisen sich am Ende als gutartig. Dies ist einer der Gründe, weshalb über den effektiven Nutzen des regelmässigen Mammografie-Screenings immer wieder diskutiert wird.
Doch wie lassen sich detailreichere Bilder produzieren, ohne dabei die Strahlenbelastung auf ein schädliches Mass zu erhöhen? Marco Stampanoni, Zhentian Wang und ihr Team fanden eine Antwort darauf.
Dem Licht seine gesamte Information entlocken
Röntgenstrahlung ist nichts anderes als Licht – hochenergetisches Licht, das für das menschliche Auge unsichtbar ist. Treffen Lichtwellen auf ein Medium, so können sie beispielsweise ganz oder teilweise absorbiert werden – jenes Phänomen, welches auch beim klassischen Röntgen genutzt wird. Licht kann aber auch von einem Medium gebeugt oder gebrochen werden, was in einer Richtungsänderung der heraustretenden Welle resultiert. Ausserdem können die Lichtwellen in einem Medium mit unterschiedlicher Dichteverteilung ungleich verlangsamt werden, sodass sich ihre sogenannten Phasen zueinander verschieben.
«All diese Phänomene werden in der klassischen Röntgenbildgebung als Rauschen interpretiert und herausgefiltert. Tatsächlich enthalten sie jedoch wichtige Informationen über die Dichteverteilung im durchleuchteten Medium», so Zhentian Wang. Richtig detektiert und ausgewertet, lassen sich daraus hochauflösende Röntgenbilder erzeugen, ohne dafür die Strahlendosis zu erhöhen.
Um diese Phänomene für eine treffsichere Diagnose nutzen zu können, greifen die beiden Wissenschaftler auf die sogenannte Gitter-Interferometrie zurück – eine Technik, welche ursprünglich am PSI von Christian David und Franz Pfeiffer zur Charakterisierung von Synchrotron-Röntgenstrahlung eingeführt wurde. Die Technik basiert auf sehr feinen Gittern, welche das Röntgenlicht in ein sogenanntes Interferenzsignal umwandelt. Aus diesem Signal lassen sich schliesslich die Absorptions-, Phasen-, Beugungs- und Brechungseigenschaften des durchleuchteten Objekts berechnen, woraus sich ein Bild generieren lässt.
Die Technik aus der Grundlagenforschung wurde Schritt für Schritt verfeinert und angepasst. Unzählige Arbeitsstunden von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Publikationen und Patente trieben die Forschung immer weiter voran. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baden, dem Universitätsspital Zürich und der Firma Philips konnten erste präklinische Studien an Gewebeproben durchgeführt und ein Prototyp für die zweidimensionale Bildgebung an Patientinnen und Patienten entwickelt werden. Die vielversprechenden Resultate führten 2017 zur Gründung der Firma GratXray AG, welche zurzeit an der Entwicklung eines einzigartigen Prototyps für die dreidimensionale Bildgebung arbeitet. Mit seiner Hilfe wollen die Forscher zeigen, wie die Anwendung der Technik in der alltäglichen medizinischen Praxis funktionieren könnte. 2017 gewann die Firma den Swiss Technology Award und in diesem Jahr sind die beiden Wissenschaftler nun für den Europäischen Erfinderpreis nominiert. «Wir sind sehr stolz auf diese wichtige internationale Anerkennung. Sie zeigt, wie komplexe Grundlagenforschung in Kombination mit dem Erfindergeist und der Passion eines begeisterten Forschungsteams zu einer konkreten Anwendung für die Allgemeinheit führen kann», so Marco Stampanoni über die Bedeutung ihrer Nominierung.
Die häufigste Krebsart überhaupt
Brustkrebs ist die häufigste Krebsart unter Frauen und gilt seit Ende 2021 laut der Weltgesundheitsorganisation sogar als die weitverbreitetste Krebsart überhaupt. Das Risiko einer Erkrankung steigt mit zunehmendem Alter. Obwohl Frauen am häufigsten betroffen sind, können auch Männer Brustkrebs entwickeln. Wie bei jeder Krebsart gilt auch hier, je früher der Tumor entdeckt wird, desto grösser sind die Heilungschancen. Viele Staaten setzen deshalb auf sogenannte Screening-Programme, bei denen sich Frauen ab einem bestimmten Alter in regelmässigen Abständen voruntersuchen lassen können. Der Nutzen dieser Voruntersuchungen ist jedoch noch nicht vollständig geklärt und gerät immer wieder in Kritik. Die Phasenkontrast-Bildgebung könnte helfen, die Früherkennung zu verbessern und die Voruntersuchungen attraktiver zu machen.
Text: Paul Scherrer Institut/Benjamin A. Senn
Zu den Personen
Marco Stampanoni arbeitet seit 2003 am PSI. Seine Karriere begann ursprünglich an der ETH Zürich, wo er für seine Doktorarbeit über Röntgentomografie mit der ETH-Medaille für hervorragende Doktorarbeiten ausgezeichnet wurde. Nach seinem Wechsel ans PSI arbeitete er anfänglich als Strahllinienwissenschaftler an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, bevor er 2005 die Leitung der Tomografie-Gruppe übernahm. Zusätzlich zu seiner Rolle als Wissenschaftler am PSI ist er seit 2008 Professor an der ETH Zürich, wo er 2017 die ordentliche Professur für Röntgenbildgebung übernahm. Seit 2018 ist Marco Stampanoni Präsident der Forschungskommission am PSI.
Zhentian Wang begann seine Karriere am Departement für Ingenieurwissenschaften und Physik an der Tsinghua Universität in Peking. 2010 zog es ihn ans PSI, wo er als Postdoktorand in der Gruppe von Marco Stampanoni arbeitete. Zusammen verfeinerten sie die Phasenkotrast-Methode und arbeiteten an der Entwicklung einer klinischen Adaption. Zhentian Wang ist Mitgründer der Firma GratXray AG und arbeitet dort als Technischer Direktor. Seit August 2021 lehrt und forscht er als ausserordentlicher Professor an der Tsinghua Universität im Bereich Röntgenbildgebung.
Popular Prize
Zusätzlich zu ihrer jeweiligen Nomination sind alle Finalistinnen und Finalisten auch für den sogenannten Popular Prize nominiert. Die Gewinnerinnen und Gewinner dieses Preises werden durch die breite Öffentlichkeit gewählt. Jede Person hat eine Stimme und kann unter dem folgenden Link für ihre Favoriten abstimmen: Popular Prize
Die Preisverleihung kann am 21. Juni um 12:00 Uhr live unter folgendem Link mitverfolgt werden: https://inventoraward.epo.org/index
Weiterführende Informationen
- PSI-Spin-off «GratXray» gewinnt Swiss Technology Award 2017 – Text vom 17. November 2017
- Phasenkontrast verbessert Mammografie – Medienmitteilung vom 15. Mai 2014
- Neues Diagnoseverfahren bei Brustkrebs vielversprechend – Medienmitteilung vom 24. Oktober 2013
- Neue Methode für die Krebserkennung mit Brustgewebe erprobt – Medienmitteilung vom 02. August 2011
Weiterführende Informationen zum Thema Brustkrebs
- Weltgesundheitsorganisation: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/breast-cancer
- Krebsliga Schweiz: https://www.krebsliga.ch/ueber-krebs/krebsarten/brustkrebs
Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. Marco Stampanoni
Institut für Biomedizinische Technik der ETH Zürich
Labor für Makromoleküle und Bioimaging
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 47 24, E-Mail: marco.stampanoni@psi.ch [Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch]
Assoc. Prof. Dr. Wang Zhentian
Departement of Engeneering Physics
Tsinghua University Haidian District, 100084, Peking, China
Telefon: +86 13716413267, E-Mail: wangzhentian@tsinghua.edu.cn [Englisch, Chinesisch]
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