Am Paul Scherrer Institut PSI suchen Forschende nach Lösungen, wie man die Energie aus Sonne, Wind oder Biomasse effizient in das Schweizer Energiesystem integrieren kann.
Eine Stadt, nennen wir sie Esiville, will zum Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit werden und ihre Energie vollständig aus Sonne, Wind und Bioabfällen schöpfen. Gesagt getan – ein Windpark wird errichtet, Fotovoltaik-Anlagen werden auf den Dächern installiert, Bioabfälle gesammelt und zu Biogas verarbeitet. Die Autos fahren mit Biogas, die Fotovoltaik- und Windkraft-Anlagen versorgen die Geschäfte, die Häuser und das Krankenhaus mit Strom. Doch dann plötzlich: Blackout. Was ist passiert?
Dieses fiktive Szenario bringt die Herausforderung künftiger Energiesysteme auf den Punkt. Mit der Wasserkraft bezieht die Schweiz bereits heute 60 Prozent ihres Stroms aus einer erneuerbaren Energiequelle. Doch künftig soll die Stromversorgung in der Schweiz ohne Kernkraftwerke stattfinden. Diese decken rund 35 Prozent des Strombedarfs ab. Ein Versorgungsengpass droht. Doch mit Sonne, Wind oder Biomasse verfügt die Schweiz noch über weitere, bisher kaum genutzte Energieressourcen. Um deren Potenzial auszuschöpfen, sieht die Energiestrategie 2050 den Ausbau dieser sogenannten neuen erneuerbaren Energien vor. Doch insbesondere die Nutzung von Sonne und Wind hat einen Haken: Mit ihnen lässt sich zwar nachhaltig Strom erzeugen, die Stromproduktion hängt aber vom Wetter, der Tageszeit und der Jahreszeit ab. Diese Unregelmässigkeit brächte das Stromnetz aus dem Gleichgewicht – mal würde weniger Strom eingespeist als benötigt, mal zu viel. Die Folge: der oben skizzierte Blackout.
Dreh- und Angelpunkt Energiespeicherung
Energy System Integration, auf Deutsch Energiesystemintegration, beschäftigt sich mit der Frage, wie man die Energie aus unterschiedlichen Energiequellen so unter einen Hut bringen kann, dass sie möglichst effizient genutzt wird und zugleich die Versorgung der Menschen sichergestellt ist.
An Beispielen wie Esiville denken Forschende am Paul Scherrer Institut PSI mögliche Szenarien für die Energiezukunft durch. Allen Szenarien gemein ist die Forschungsaufgabe, die sich aus dem unregelmässig anfallenden Strom aus Sonne & Co ergibt: Es müssen Wege gefunden werden, wie man diese Energie zwischenspeichern kann. Dann kann sie verwendet werden, wenn sie gebraucht wird.
Während sich Batterien für den Heimbedarf mit einer mittelfristigen Speicheranforderung und vergleichsweise geringen Energiemengen zunehmend etablieren, muss man bei der Energieversorgung von Fabriken oder ganzen Städten in grösseren Dimensionen denken. So sind auch Konzepte zur langfristigen Energiespeicherung gefragt, damit zum Beispiel die Energie eines sonnenreichen Sommers in den Winter gerettet werden kann.
In der Schweiz bereits grosstechnisch als Energiespeicher im Einsatz sind Pumpspeicherkraftwerke. Allerdings werden die bestehenden Anlagen nicht ausreichen, eine komplett auf erneuerbare Energien aufgebaute Versorgung umzusetzen. Und ein weiterer Ausbau ist nur begrenzt möglich.
Das Strom- und das Gasnetz verbinden
Ein vielversprechender Kandidat für die langfristige Energiespeicherung ist die sogenannte Power-to-Gas-Technologie. Sie beruht darauf, den überschüssigen Strom, wie er bei einem Zuviel an Sonne und Wind bereits heute anfällt, zur Gewinnung von Wasserstoff aus Wasser zu nutzen. Der Wasserstoff kann gespeichert und später auf verschiedene Arten eingesetzt werden: Als Treibstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge oder für stationäre Brennstoffzellen-Systeme, die einzelne Gebäude bis zu kleinen Gemeinden mit Wärme und Strom versorgen – eine besonders umweltfreundliche Umsetzung, da sowohl das Ausgangs- als auch das Endprodukt reines Wasser ist und keine CO2-Emissionen anfallen. Auch kann der Wasserstoff direkt in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden, das die Energie dorthin bringt, wo sie gebraucht wird.
Jedoch ist die Einspeisung des Wasserstoffs in das Erdgasnetz bloss begrenzt möglich: In der Schweiz liegt die Obergrenze bei zwei Prozent. Man kann aber einen weiteren Schritt gehen und den Wasserstoff zu Methan, also synthetischem Erdgas, weiterverarbeiten. Das ist aber nur sinnvoll, wenn ein Überangebot an Wasserstoff vorhanden ist: Jeder Umwandlungsschritt bewirkt einen Wirkungsgradverlust, der tunlichst vermieden werden sollte
, sagt Peter Jansohn, Leiter Energy System Integration am PSI. Der Wirkungsgrad gibt an, wie viel der ursprünglichen Energie nach den verschiedenen Umwandlungsprozessen noch genutzt werden kann.
Mit einem Wirkungsgrad von 60 Prozent ist die Speicherung über Wasserstoff heute am effizientesten. Doch bereits nach einer Weiterverarbeitung von Wasserstoff zu Methan bleiben gerade einmal gut 40 Prozent. Bei einer Wiederverstromung des Wasserstoffs über die Brennstoffzelle liegt der Gesamtwirkungsgrad bei rund 45 Prozent. Hier bleibt ein klarer Auftrag an die Forschenden am PSI, die Verfahren so zu optimieren, dass eine höhere Ausbeute erreicht wird. So gelten bei der Elektrolyse 70 Prozent als realistisches Ziel. Für die ‹roundtrip efficiency›, also Strom-zu-Wasserstoff-zu-Strom, sehen wir als langfristiges Potenzial einen Wirkungsgrad von etwa 50 Prozent
, so Peter Jansohns Einschätzung. Seine Prognose für den Weg über Wasserstoff zu Methan liegt bei rund 55 Prozent. Ein weiterer Prozessschritt Richtung Strom bedeutet einen weiteren Wirkungsgradverlust, sodass beim Weg über Methan höchstens ein Drittel der ursprünglichen elektrischen Energie wiedergewonnen werden können.
Energie nutzen, die sonst verloren wäre
Auf den ersten Blick scheinen die Wirkungsgrade bei all diesen Ansätzen gering. Der entscheidende Faktor ist jedoch, dass man Strom nutzt, der ansonsten verloren wäre, der Wirkungsgrad also bei null Prozent läge. Dieses Konzept, zu verwerten, was bereits da ist, steckt auch hinter den Forschungen am PSI zur Herstellung von Methan aus biologisch abbaubaren Abfällen. Diese fallen als Bioabfall sowohl im Haushalt als auch in der Landwirtschaft oder Lebensmittelindustrie sowie als Klärschlamm aus der Abwasserreinigung in grossen Mengen an. Besonders vielversprechend und auch bereits im Einsatz sind Verfahren, die aus dem durch Vergärung der biogenen Bestandteile entstehenden Rohbiogas Methan erzeugen. Auch hier ist das Ziel der PSI-Forschenden, die derzeitige Ausbeute klar zu erhöhen. Sie haben eine Technologie entwickelt, die aus den Bioabfällen um 60 Prozent mehr Methan herausholt und damit das Rohbiogas fast vollständig verwerten kann.
Damit diese und andere Forschungen zur Energiespeicherung auch für die Praxis fruchtbar werden, hat das PSI eine Versuchsplattform für Energiesystemintegration, die ESI-Plattform, eingerichtet. Sie stellt die Infrastruktur für spezialisierte Teilsysteme zur Verfügung, in denen Forschende im Pilotmassstab mit den Forschungsergebnissen aus dem Labor einen ersten Schritt in die praktische Umsetzung machen können. Die ESI-Plattform steht hierfür Partnern aus Wissenschaft und Industrie zur Verfügung. Dabei können die Partner entweder Technologien gemeinsam mit den Forschenden am PSI weiterentwickeln oder die Infrastruktur dafür nutzen, um eigene Technologien zu erproben. Die ESI-Plattform als Angebot an die Industrie soll dazu dienen, das Potenzial neuer Technologien auszutesten, ohne schon früh im Entwicklungsprozess hohe Investitionen tätigen zu müssen, wie es die Umsetzung einer Technologie direkt im industriellen Umfeld erfordern würde
, erklärt Jansohn.
Dass das Konzept aufgeht, zeigt die aktive Zusammenarbeit mit dem Zürcher Energieversorger Energie 360° oder dem Freiburger Brennstoffzellen-Hersteller Swiss Hydrogen.
Da im Endeffekt die wirtschaftliche Machbarkeit entscheidet, ob eine Technologie im industriellen Massstab umgesetzt wird, ist diese Zusammenarbeit immer auch von Machbarkeits-Analysen begleitet. Bereits auf der Ebene der Grundlagenforschung berücksichtigen wir die Fragestellungen der Industrie
, betont Thomas J. Schmidt, Leiter des Forschungsbereichs Energie und Umwelt am PSI. Effizient, langlebig und kostengünstig – das sind hier die Worte, die man aus den Energieforschungs-Labors am PSI immer wieder hört, wenn es um Energiespeicherung geht. So entwickelten Forschende des PSI zum Beispiel ein neues Nanomaterial, mit welchem Elektrolyseure, die für die Herstellung von Wasserstoff benötigt werden, künftig deutlich günstiger werden könnten. Das würde die bisher hohen Erst-Investitions-Kosten senken.
Die Forschung ist voller Ideen, wie man das Schweizer Energiesystem künftig nachhaltig gestalten könnte. Technologien werden entwickelt, geprüft und auch wieder verworfen. Welche der Technologien sich letztendlich durchsetzen werden, weiss man heute noch nicht. Manche Technologien werden sich gegenseitig ergänzen; bei anderen wird man sich entscheiden müssen. Unsere Rolle als Forschungseinrichtung ist, hier der ‹Honest Broker› zu sein
, sagt Schmidt. Die Forschung kann helfen, vernünftige Entscheidungen zu fällen, indem sie einen klareren Blick auf die Vor- und Nachteile der einen oder anderen Technologie gewinnen lässt. Die Entscheidungen treffen, kann die Forschung nicht: Wissen schaffen und dieses zu vermitteln, das sehen wir als die primäre Aufgabe eines Forschungsinstituts.
Text: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl
Weiterführende Informationen
Eine Technologie im Praxistest: Ein Interview mit Peter Dietiker, dem Geschäftsführer des Zürcher Unternehmens Energie 360°, über die Zusammenarbeit mit dem PSI.Profitabel für beide Seiten: Ein Interview mit Alexandre Closset, Geschäftsführer des Unternehmens Swiss Hydrogen, über die Zusammenarbeit mit dem PSI