SwissFEL-Gebäude, 24. August 2016: Im Kontrollraum oberhalb des Strahlkanals des Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL ist die Atmosphäre konzentriert und gespannt. Das Team um Marco Pedrozzi hat sich für diesen späten August-Nachmittag viel vorgenommen. Die letzten Justierungen wurden gemacht – es ist Zeit den grossen Knopf zu drücken und die Elektronenquelle in Betrieb zu setzen. Das Ziel: Der SwissFEL soll seine ersten Elektronen erzeugen. Eine Reportage.
SwissFEL-Gebäude, Kontrollraum, 24. August 2016. Die Atmosphäre ist konzentriert und gespannt. Die letzten Justierungen wurden gemacht. Alle schauen erwartungsvoll auf die Bildschirme, die in ihrer spärlich eingerichteten Umgebung teilnahmslos vor sich hin flimmern. Doch im kleinen Kontrollraum mitten im Wald ist nichts wie immer. Hier geht es an diesem späten August- Nachmittag um das Herzstück des neuen Röntgenlasers SwissFEL, um dessen Elektronenquelle. Wir wollen heute die ersten Elektronen erzeugen
, sagt Marco Pedrozzi. Intensive Laserblitze sollen sie aus einer Kupferplatte mit einem Durchmesser von knapp zwei Zentimetern herausschlagen. Rund eine Milliarde Elektronen sollen pro Blitz freigesetzt werden.
Die Elektronenquelle ist Teil des knapp 100 Meter langen Injektors, dessen Entwicklung Marco Pedrozzi seit dessen Anfängen begleitet und für dessen nun startende Inbetriebnahme die ersten 250 Meter des Strahlkanals gesperrt wurden. Er ist der Beginn des insgesamt 740 Meter langen Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL. Die neue Grossforschungsanlage des Paul Scherrer Instituts PSI wird künftig Röntgenlicht erzeugen, das die Forschung zu neuen Höhen bringen soll. Der Injektor liefert die dafür benötigten Elektronen, beschleunigt sie innerhalb weniger Zentimeter auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und sorgt dafür, dass sie als enge Bündel zum Linearbeschleuniger weiterfliegen. Dort werden sie dann auf die für die Erzeugung des Röntgenlichts erforderliche Endenergie weiterbeschleunigt.
Schrittweise zum Ziel
Der Mini-Kontrollraum liegt oberhalb des Strahlkanals etwa 130 Meter vom sogenannten Maschinen-Nullpunkt entfernt – so wird jene Stelle genannt, an der die Elektronen entstehen. Abseits des für die Erzeugung der ersten Elektronen gesperrten Bereichs herrscht reges Treiben. Stück für Stück reihen sich die nahezu identisch aussehenden Beschleunigerstrukturen des Linearbeschleunigers. Monteure auf Leitern stecken mit ihrem Kopf im bunten Kabelgewirr. Maschinenteile werden zusammengeschlossen und mit dem oberen Stockwerk verbunden, von wo aus sie dann im Betrieb mit Strom versorgt werden. Ein Velo flitzt vorbei. Der Weg von einem zum anderen Ende der Anlage ist weit.
Noch selten sieht man die verwinkelten Kupferrohre, die jene Energie zum SwissFEL bringen werden, die die Elektronen immer und immer weiter beschleunigt. Überhaupt: Je näher man Richtung SwissFEL-Ende kommt, desto mehr lichten sich die Reihen. Hier fehlen noch wenige Beschleunigerstrukturen, dort sind noch nicht alle Undulatoren an ihrem Platz. Die 20-Tonnen-Kolosse werden im fertigen SwissFEL die einsatzbereiten Elektronen auf eine Wellenbahn schicken und dabei das Röntgenlicht für die Experimente erzeugen.
Die Henne oder das Ei
Dass am einen Ende noch installiert wird, während am anderen Ende bereits die Inbetriebnahme startet, ist bei einer Anlage in der Grössenordnung des SwissFEL nichts Ungewöhnliches
, sagt Thomas Schietinger, der den gesamten Prozess für den SwissFEL koordiniert. Installation und Inbetriebnahme laufen schrittweise parallel und folgen einem vorgegebenen Masterplan. Vor Überraschungen feit dieser jedoch nicht: Denn die Maschinenkomponenten werden unabhängig voneinander gebaut und installiert; ob sie auch als gemeinsames Ganzes funktionieren sieht man dann erst, wenn sie zusammengeschlossen werden.
Konkret müssen Elektronenquelle, insgesamt 111 Beschleunigungsstrukturen sowie zwölf Undulatoren auf Gleichklang gebracht werden. Damit diese letztendlich ein für Experimente nutzbares Röntgenlicht erzeugen können, muss der Strahl der durch den SwissFEL rasenden Elektronen makellos sein. Über die ganze Anlage sind Komponenten verteilt, die den Elektronenstrahl beobachten und laufend optimieren. Diese Komponenten richtig zu justieren erfordert neben fundiertem Fachwissen auch viel Geduld und Fingerspitzengefühl
, so Schietinger. Dabei sind die Ingenieure mit einem altbekannten Paradoxon konfrontiert. Ohne feingetunte Anlage gibt es keinen perfekten Elektronenstrahl und vice versa braucht man den Elektronenstrahl, um die Anlage zu justieren. Wir müssen uns daher iterativ an den perfekten Strahl annähern
, beschreibt Schietinger die ingenieurtechnische Antwort auf das klassische Henne-Ei-Problem. Ein Vorgehen, das Zeit benötigt: Insgesamt etwa ein Jahr wird es dauern, bis das erzeugte Röntgenlicht jene Qualität haben wird, die es für die ersten Pilotexperimente braucht.
Ein Bilderbuch-Start
Zurück im Kontrollraum. Auch Marco Pedrozzi und sein Team haben Geduld und Fingerspitzengefühl bewiesen. Viel Detailarbeit liegt hinter ihnen. Es ist Zeit, den grossen Knopf zu drücken und die Elektronenquelle in Betrieb zu setzen. Wobei Knopf drücken
nur symbolisch zu sehen ist. Denn hier läuft alles via Mausklick. Ein heller Fleck leuchtet am Bildschirm auf. Die Elektronen scheinen makellos – und das beim ersten Versuch. Das Team ist begeistert. Gesichter strahlen, Hände werden geschüttelt. Doch Zeit zum Feiern gibt es keine. Wir müssen schrittweise die Energie der Elektronen erhöhen
, hat Pedrozzi bereits das kommende Ziel vor Augen. Der nächste wichtige Schritt wird der Zusammenschluss des Injektors mit dem Linearbeschleuniger sein. Bis Ende des Jahres soll der erste Elektronenstrahl bis durch die Undulatoren gehen. Dann gibt es nur noch ein Ziel: die Erzeugung des perfekten Röntgenlichts.
Text: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl
Weiterführende Informationen
Im Strahlkanal des SwissFELErste Undulatoren im SwissFEL-Gebäude
SwissFEL: Bereit für die Montage
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Thomas SchietingerGruppe Beschleunigerkonzepte
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 32 74, E-Mail: thomas.schietinger@psi.ch
Dr. Marco Pedrozzi
Gruppe Accelerator
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 32 42, E-Mail: marco.pedrozzi@psi.ch