SwissFEL: Die Schwarze Mörtelbiene fühlt sich hier pudelwohl

Für den Bau des Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL am Paul Scherrer Institut PSI wurden 2013 rund fünf Hektar Würenlinger Wald gerodet und zu neuem Lebensraum für Flora und Fauna umgestaltet. Jetzt haben Biologen und Forstingenieure Zwischenbilanz zum Erfolg des Renaturierungsprojekts gezogen – und sind begeistert. Das Gelände beherbergt inzwischen etliche, teils bedrohte Tier- und Pflanzenarten, darunter die Gelbbauchunke und die in der Schweiz vom Aussterben bedrohte Schwarze Mörtelbiene.

Unter dem knapp 800 Meter langen Erdwall im Würenlinger Unterwald experimentieren die Forschenden mit Röntgenpulsen – und verfolgen so beispielsweise extrem schnelle Vorgänge wie die Entstehung neuer Moleküle bei chemischen Reaktionen. Auf und rund um den Erdwall geht es aber nicht minder spannend zu. Wenn es nicht gerade Winter ist, grünt und blüht es hier; es krabbelt, flattert, kriecht und hüpft. Die ehemalige Baugrube im Wald hat sich mithilfe der gut durchdachten Renaturierungsmassnahmen zu einem Paradies für Amphibien, Insekten und andere Tiere entwickelt – und zu einem idealen Beobachtungsort für Naturliebhaber.

Bei einer Begehung begutachtete die «Arbeitsgruppe Wald» des PSI die Resultate der Renaturierung, vorgestellt von Forstingenieur Tobias Liechti.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Bienen, Hummeln und viele andere Insekten wissen das reiche Blütenangebot am SwissFEL zu schätzen.
(Foto: Tobias Liechti)
Etwa 200 Pflanzenarten wachsen auf und rund um den SwissFEL-Damm.
(Foto: Tobias Liechti)
Am SwissFEL haben Landschaftsplaner mehrere Sandflächen angelegt, in denen Wildbienen ihre Nester bauen oder Material dafür sammeln können.
(Foto: Tobias Liechti)
Die Schwarze Mörtelbiene (Megachile parietina) baut Nester aus Lehm. In der Schweiz ist sie vom Aussterben bedroht.
(Foto: Tobias Liechti)
Ein blühendes Meer von Esparsetten gibt der Schwarzen Mörtelbiene genug Nahrung, um sich fortzupflanzen.
(Foto: Tobias Liechti)
Der Plattbauch ist eine Libellenart, die Insekten im Flug fangen. Als Ansitzjäger lauern sie, zum Beispiel auf Zweigen sitzend, auf Beute.
(Foto: Tobias Liechti)
Die Italienische Schönschrecke (Calliptamus italicus) ist im Kanton Aargau eine Seltenheit. 2019 ist sie ins SwissFEL-Gelände eingewandert.
(Foto: Tobias Liechti)
Ein Kleiner Perlmutterfalter (Issoria lathonia) – insgesamt haben die Biologen 42 Schmetterlingsarten gezählt, inklusive fünf Arten von der Roten Liste.
(Foto: Tobias Liechti)
Der Goldglänzende Rosenkäfer fliegt von April bis Oktober und ernährt sich an Blüten von Staubblättern und Blütenpollen.
(Foto: Tobias Liechti)
Mehrere künstlich angelegte Tümpel sollten Amphibien und anderen Tieren neuen Lebensraum bieten – das hat geklappt.
(Foto: Tobias Liechti)
Die Gelbbauchunke, eine in der Schweiz gefährdete Art, hat sich in den Tümpeln am SwissFEL niedergelassen.
(Foto: Tobias Liechti)
Auch Blindschleichen sind auf dem Gelände unterwegs
(Foto: Tobias Liechti)
Wildschweine nutzen die Wildübergänge auf dem SwissFEL-Damm regelmässig – und laufen dort öfters den Wildkameras vor die Linse.
(Foto: Forstbetrieb Würenlingen)
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«Eine Wiese im Wald ist ökologisch sehr wertvoll», erklärt Forstingenieur Tobias Liechti vom Ingenieurbüro für Landschaftsplanung Sieber & Liechti, das für das PSI regelmässige Erfolgskontrollen auf dem Gelände durchführt. «Zum Beispiel für Käfer: Die legen ihre Eier in Holz ab, aber fressen Pollen. Sie brauchen also beides: Wald und Wiese.» Tobias Liechti ist begeistert von dem Renaturierungsprojekt am PSI «Es ist selten, dass in der Schweiz ein solch grosses Gelände renaturiert wird – und dann auch noch im Wald. Das ist einzigartig.»

Die Firma creato, Genossenschaft für Umweltplanung, hatte damals ausgearbeitet, wie sich der SwissFEL am ökologisch wertvollsten in die Umgebung einbetten lässt. Auf dem fünf Hektar grossen Gelände entstand so ein Mosaik an Lebensräumen für Tiere und Pflanzen: Magerwiesen, Böschungen, Tümpel, Sandflächen und vieles mehr. Der fünfte Erfolgskontrollbericht von Sieber & Liechti bescheinigt dem Projekt jetzt Gelingen auf ganzer Linie – und viele neue Bewohner.

Ein Paradies für Wildbienen

Allein 76 Wildbienenarten hat eine an der Untersuchung beteiligte Wildbienenspezialistin auf ihren zahlreichen Begehungen rund um den SwissFEL gezählt. «Das sind zehn Prozent aller Arten, die in der Schweiz überhaupt vorkommen», betont Tobias Liechti. 17 Arten stehen sogar auf der Roten Liste.

Ein besonderer Erfolg: Auch die Schwarze Mörtelbiene zählt zu den neuen Bewohnern. Diese Wildbienenart ist in der Schweiz vom Aussterben bedroht, es gibt nur noch wenige Populationen im Wallis und in der Nordostschweiz. Sie benötigt für einen einzigen Nachkommen Pollen und Nektar von über tausend Esparsettenblüten, einer rosa-violett blühende Kleeart, die in dieser Menge kaum noch irgendwo zu finden ist. Ein Meer an Esparsettenblüten rund um den SwissFEL im Frühling hat es der Schwarzen Mörtelbiene ermöglicht, hier eine Population aufzubauen, denn es gibt genug Nahrung für sie und ihre Nachkommen.

Im Gegensatz zu Honigbienen sind die meisten wild lebenden Bienenarten Einsiedler: Sie nisten alleine, beispielsweise im Boden. Andere bauen ein Nest aus Lehm. Dafür hat das PSI extra Sandflächen anlegen lassen und hält diese ständig frei von Unkraut.

Samen und Larven von ausserhalb

Um den SwissFEL nach seiner Errichtung schnell mit Wiesen zu bedecken, griff man zu einer Methode namens Direktbegrünung. Dabei wurden ökologisch wertvolle Wiesen in Villigen und Döttingen gemäht, und das Schnittgut wurde am SwissFEL-Gelände ausgebreitet. «Auf diese Weise transferiert man nicht nur Pflanzensamen, sondern Insekten, Spinnen und Pilzsporen gleich mit», erklärt Liechti.

Wie die Erfolgskontrollen zeigen, war die Methode äussert erfolgreich. Ein Grossteil der Pflanzen, die auf dem Erdwall wachsen, stammen aus den Spenderwiesen, darunter das Gemeine Sonnenröschen, die Knollige Kratzdistel, der Hügel-Waldmeister und die Knäulblütige Glockenblume.

Derzeit wachsen in dem Gebiet um die 200 Pflanzenarten. Ein Teil der Flächen sind nährstoffarme Magerwiesen, die in der Schweiz besonders wertvoll geworden sind. Hier wachsen Wildpflanzen, die es auf gedüngten Flächen schwer haben und daher in der modernen Agrargesellschaft selten geworden sind.

Solche Wiesen brauchen aber viel Pflege: Die bedrohten Arten können nur dann überleben, wenn man regelmässig mäht und so Nährstoffe aus der Wiese austrägt. Das PSI trägt dafür Sorge, und hält auch Problempflanzen wie Brombeeren in Schach, weil diese sonst alles überwuchern. Besonderes Augenmerk gilt in den ersten paar Jahren den Neophyten, das sind Pflanzen, die ursprünglich nicht in der Schweiz beheimatet sind, sich aber hier ungehemmt ausbreiten. Dazu zählt etwa das Schmalblättrige Greiskraut aus Südafrika. Es wurde regelmässig entfernt. «Das haben wir jetzt im Griff», sagt Liechti.

Überall hüpft und krabbelt es

Wer auf dem SwissFEL-Gelände eine Wiese abschreitet, sollte seine Füsse im Auge behalten: Dort unten springen die Heuschrecken herum, aufgeschreckt durch die Schritte der Besucher. 14 Arten haben sich bereits angesiedelt; das sind laut Liechti mehr, als man durchschnittlich auf Schweizer Wiesen findet. Darunter sind die giftgrüne Gemeine Sichelschrecke und der bräunliche, bis zu 2,5 Zentimeter lange Nachtigall-Grashüpfer, der das weit hörbare heuschreckentypische Zirpen von sich gibt.

Viele Heuschreckenarten sind vermutlich mit den Larven aus den Spenderwiesen zum SwissFEL gekommen, erklärt Liechti. Aber nicht alle: Die 2019 neu eingewanderte Italienische Schönschrecke etwa hat sich selbstständig auf den Weg gemacht. «Die ist über viele Kilometer hierhergeflogen. Eine tolle Sache, denn sie ist bei uns im Kanton Aargau eine Seltenheit.» Das zeige, dass es die Tiere tatsächlich schaffen, einen für sie guten Lebensraum zu finden, auch wenn er weit weg ist.

Auch bei den Reptilien gibt es laut Liechti «nicht viel mehr zu träumen». Braune Mauereidechsen und grüne Zauneidechsen sind zahlreich vertreten. Schlangenfans können sich über die ungiftige Barren-Ringelnatter freuen, die auf dem SwissFEL-Gelände bereits Nachwuchs bekommen hat.

Besuch von Dachs, Fuchs und Wildschwein

Einzelne Teile des SwissFEL-Damms wurden mit Humus bedeckt, damit dort Gras gut wachsen kann. Zudem wurden Sträucher angepflanzt. Diese Abschnitte sollen dem Wild eine sichere Passage ermöglichen. Vier Wildkameras machen Schnappschüsse von allem, was den Damm überquert – und das ist einiges. «Fast täglich sind hier Rehe unterwegs», sagt Markus Hossli vom Forstbetrieb Würenlingen, der die Wildkameras auswertet. «Aber auch Füchse, Dachse und sogar Wildschweine laufen uns regelmässig vor die Kamera.»

Am westlichen Waldrand hat man insgesamt sechs kleine Teiche angelegt. Dort schweben oft Libellen über dem Wasser, etwa die bläulich-grüne, etwa sechs Zentimeter lange Herbst-Mosaikjungfer. «Auch die Flusslibellen von der Aare kommen hierher, um zu jagen, weil es so viele Insekten gibt», sagt Liechti.

Amphibien sind ebenfalls wie geplant in die Tümpel eingezogen: neben den gewöhnlichen grünen Wasserfröschen auch Grasfrösche, Bergmolche, Fadenmolche und Erdkröten. Zur Freude der Naturschützer hat sich sogar die Gelbbauchunke angesiedelt. Die in der Schweiz stark gefährdete Art hat eine unscheinbar bräunlich gefärbte Oberseite, ihr Bauch ist intensiv schwarz-gelb.

«Das PSI hat hier im Würenlinger Wald hohe Naturwerte geschaffen», fasst Tobias Liechti zusammen. «Das Projekt läuft wirklich vorbildlich.» Eine erneute Bilanz ist in fünf Jahren vorgesehen.

Text: Paul Scherrer Institut/Brigitte Osterath

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