Peter Burgherr ist am PSI Leiter der Forschungsgruppe für Technologie-Assessment im Labor für Energiesystemanalysen. Dort analysiert er mit seinem Team Technologien und Szenarien für eine nachhaltige Energiezukunft. Er blickt nüchtern auf eine mögliche Strommangellage im kommenden Winter und hat hilfreiche Tipps parat.
Herr Burgherr, Sie sind Risikoforscher. Was heisst das konkret?
Peter Burgherr: In meiner Arbeitsgruppe schauen wir uns ganzheitlich an, was in Sachen Energie und Energieinfrastruktur schiefgehen könnte. Das sind einerseits Angriffe und andererseits Unfälle. Zu den Unfällen zählen technische und menschliche Fehler sowie Naturereignisse. Dafür arbeiten wir auch mit sogenannten Szenarien, das heisst, wir zeigen verschiedene mögliche Entwicklungspfade auf.
Derzeit wird über eine mögliche Strommangellage in der Schweiz diskutiert. Was ist diesbezüglich das schlimmste denkbare Szenario?
Das wäre, wenn eine Strommangellage lange andauern würde, vielleicht bis zu mehreren Monaten. Im Zuge so einer Lage kann es zu Verbrauchseinschränkungen und Netzabschaltungen kommen, um das absolute Worst-Case-Szenario, nämlich unkontrollierte Stromausfälle, abzuwenden. Die Unsicherheit so einer Lage würde enormen Stress auslösen; für viele von uns ist es ja schon stressig, wenn wir mal am Bahnhof unseren Anschlusszug nicht erreichen. Eine lange Strommangellage kann Auswirkungen auf sämtliche stromabhängigen Sektoren in Wirtschaft und Gesellschaft haben und die wirtschaftlichen Folgen können sogar für einige Jahre spürbar sein.
Ende August dieses Jahres sagte Bundesrat Guy Parmelin: „Jede Kilowattstunde zählt“. Anfang November wiederum las man in den Medien eine Art Entwarnung.
Richtig, Anfang November ist eine gemeinsame Analyse des Bundesamts für Energie, der Elektrizitätskommission und des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung erschienen und in den Medien besprochen worden. Und da kann man durchaus sagen: Wie es sich zwischen August und November entwickelt hat, sieht es wieder besser aus. Allerdings besteht das Worst-Case-Szenario weiterhin. Es ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass es einen Februar mit durchgehend Minusgraden geben wird. Wenn dann vielleicht noch die französischen Kernkraftwerke nicht wie geplant vollständig zurück ans Netz gehen und noch andere Faktoren dazukommen, dann könnte der Strom durchaus wieder sehr knapp werden.
Haben Sie auch einen Lichtblick für uns?
Ein Worst-Case-Szenario sollte uns nie lähmen. Weder das Land noch die Einzelnen in der Bevölkerung. Die Schweiz hat schon viele gute Massnahmen ergriffen: Man hat mit der Energiesparkampagne die Bevölkerung zur Mithilfe motiviert, ohne Angst zu schüren. Zudem hat der Bund einen mehrstufigen Massnahmenplan festgelegt, der neben Sparmassnahmen auch Einschränkungen, Kontingentierungen und als letztes Mittel Netzabschaltungen vorsieht. Alle diese Massnahmen haben zum Ziel, zu verhindern, dass kritische Infrastrukturen und Dienstleistungen komplett zusammenbrechen. Dazu gehören etwa auch Spitäler, Finanzdienstleister und das Mobilfunknetz. Damit die Notdienste noch erreichbar sind, ist nämlich nicht nur die Akkuladung des Handys entscheidend, sondern auch die Stromversorgung der Mobilfunkmasten.
Was können Einzelne aktuell noch tun? Für eine neue Solaranlage auf dem Dach ist es jetzt wohl zu spät.
Es ist trotzdem immer eine gute Idee, diese langfristigen Dinge anzugehen, beispielsweise von der Gasheizung womöglich auf eine Wärmepumpe umzusteigen oder Solarpaneele auf dem Dach zu installieren für Warmwasser oder auch Photovoltaik. All das hat nicht nur mit der Strommangellage zu tun, sondern auch mit der Klimaerwärmung und wie wir unsere langfristigen Verpflichtungen als Land erreichen wollen. Solche Synergien zwischen verschiedenen Zielen sind sehr wichtig. Das ist auch Thema unserer Forschung zu einer nachhaltigen und stabilen zukünftigen Energieversorgung der Schweiz, die wir im Rahmen eines Projekts des Bundesamtes für Energie betreiben.
Und kleinere Massnahmen?
Die kann man in der Tat unmittelbar angehen. Man kann die Heizung auf 20 Grad stellen statt auf 22 oder gar 24. Den Kühlschrank auf sieben Grad statt auf fünf. Nicht die ganze Wäsche in den Tumbler tun. Aus Sicht eines Wissenschaftlers kann ich da der Energiesparkampagne des Bundes nur zustimmen. Zweitens sollten wir uns immer möglichst objektiv informieren; reisserische Schlagzeilen sollten wir dabei eher hinterfragen. Und drittens kann man vorsorgen, zum Beispiel indem man einen Notvorrat an Lebensmitteln und Wasser anlegt, eine Taschenlampe griffbereit aufbewahrt und ein Radio anschafft, das ohne externe Stromversorgung funktioniert. Ich empfehle auch, ein bisschen Bargeld zu Hause zu haben, falls man nicht mehr mit Karte bezahlen kann. Diese Massnahmen können uns Resilienz verschaffen, also die Gewissheit, dass wir damit sogar für das Worst-Case-Szenario so gut wie möglich gewappnet sind.
Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Weiterführende Informationen
- SURE: Sustainable and Resilient Energy for Switzerland – Ein PSI-Forschungsprojekt des Bundesamtes für Energie
- «Versachlichung würde extrem helfen» - Interview mit Thomas J. Schmidt und Andreas Pautz vom 27. Oktober 2022
- Viele Wege führen in die Energiezukunft – Text vom 4. Oktober 2022
- Power-to-Gas für Selbstversorger – Text vom 2. Juni 2022
- Woher kommt der Strom im Jahr 2050? – Text vom 1. September 2021
Kontakt
Dr. Peter Burgherr
Labor für Energiesystemanalysen
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 26 94, E-Mail: peter.burgherr@psi.ch [Deutsch, Englisch]
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