Chemische Reaktionen, so viel steht fest, werden die Beschaffenheit des Tiefenlagers sowie des umliegenden Gesteins (Tongestein) verändern. Aber in welchem Ausmass und mit welchen Auswirkungen auf die Sicherheit? Forscher des Paul Scherrer Instituts versuchen diese Frage mit Hilfe einer Kombination von Experimenten und Computersimulationen zu beantworten.
In der Schweiz müssen radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken, Forschungsanlagen, Spitälern und anderen Quellen gemäss Kernenergiegesetz in geologische Tiefenlager entsorgt werden. In diesen Tiefenlagern sollen die Abfälle –seien es schwach- und mittelaktive wie jene aus der Forschung oder hochaktive wie die verbrauchten Brennelemente eines Kernkraftwerks– über mindestens 100`000 oder 1‘000‘000 Jahre sicher eingeschlossen werden. Damit soll verhindert werden, dass Radionuklide über das Grundwasser in unzulässigen Konzentrationen in die Biosphäre gelangen. Es ist deshalb wichtig zu verstehen, welche geochemischen und physikalischen Vorgänge im Tiefenlager ablaufen, so dass man zuverlässige Aussagen bezüglich ihrer Sicherheit über derart lange Zeiträume treffen kann.
Die Natur macht es vor
Chemische Reaktionen, so viel steht fest, werden die Beschaffenheit des Tiefenlagers sowie des umliegenden Gesteins (Tongestein) verändern. Aber in welchem Ausmass und mit welchen Auswirkungen auf die Sicherheit?
Forscher des Paul Scherrer Instituts versuchen diese Frage mit Hilfe einer Kombination von Experimenten und Computersimulationen zu beantworten. Die Berechnungen haben dabei einen wichtigen Vorteil: sie umfassen sowohl extrem kurze als auch extrem lange Zeiträume. Somit ermöglichen sie auch die Untersuchung von äusserst langsamen Vorgängen, die bei Experimenten in einem Felsenlabor nicht zugänglich sind.
Neben den Simulationen stützen sich die Forscher auf sogenannte Naturanaloga. Darunter verstehen die Fachleute natürlich vorkommende geologische Umgebungen, in denen sich Vorgänge abspielen, die jenen in einem Tiefenlager sehr ähneln. Auch diese Naturanaloga bieten oft einen wertvollen Blick in die Zukunft, also in die wahrscheinliche Entwicklung eines Tiefenlagers.
Ein solches Naturanalogon befindet sich in Maqarin, im Norden Jordaniens, nahe der syrischen Grenze. Dort sind im stark bituminösen Gestein im Untergrund Verbrennungsprozesse ausgelöst worden, deren genaue Ursachen noch ungeklärt sind. Die dabei freigesetzte Wärme hat aus dem kalkhaltigen Gestein zementähnliche Gesteinsformationen gebrannt. Regenwasser ist dann in diese natürliche Zementmischung eingesickert, hat mit dem Zement reagiert und ist wiederum durch Risse entwischt und in Kontakt mit dem umgebenden Tongestein gekommen. Zement ähnelt auf Grund seines hohen pH-Wertes einer Lauge, während das Tongestein beinahe pH-neutral ist. Ton ist im Vergleich zu Zement also praktisch eine Säure und daher ist an den Kontaktstellen zwischen dem „Laugenwasser“ und dem Tongestein eine neutralisierende chemische Reaktion in Gang gekommen.
Mineralien machen die Poren dicht
Eine solche Säure-Base-Reaktion geht auch in einem geologischen Tiefenlager für schwachaktive Abfälle vor sich. Dort kommen eben auch „saures“ Tongestein und basisches Wasser aus dem Zement, mit dem die Schachtwände und Kavernen des Tiefenlagers verkleidet werden, miteinander in Berührung. Forscher wissen, dass sich dabei Zement und Tongestein neutralisieren. Die Reaktion verläuft aber meist äusserst langsam.
In Maqarin hat man beobachtet, dass sich durch die neutralisierenden Reaktionen Mineralien wie Calcit und Ettringit bilden, die in einem Abstand von wenigen Millimetern zur Kontaktstelle zur fast vollständigen Schliessung der zuvor im Tongestein bestehenden Poren führen. Über die Zeit, die verstreichen muss, bis die Poren zuwachsen, herrscht noch Ungewissheit. Es scheint aber, dass es nicht länger als einige hundert Jahre brauchen dürfte, wie Computersimulationen des PSI-Forscher-Teams Georg Kosakowski und Urs Berner zeigen. Das würde also bedeuten, dass die Säure-Base-Reaktion das Tiefenlager innerhalb von relativ kurzer Zeit sicherer macht, indem Poren geschlossen werden und somit das Entweichen von Radionukliden zusätzlich erschwert wird.
Ein Meilenstein im Verständnis eines Tiefenlagers
Dass sich die Beobachtungen aus dem „natürlichen Labor“ von Maqarin gut mit den Ergebnissen ihrer Computersimulationen decken, werten die PSI-Forscher als einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum besseren Verständnis eines Tiefenlagers. Die gute Übereinstimmung mit den Messdaten kommt einem Ritterschlag für ihr Berechnungsmodell gleich, in welchem sie die Komplexität der geochemischen Reaktionen verbunden mit den Details des Wassertransports (hauptsächlich Diffusion) im Gestein mathematisch erfasst haben.
Text: Leonid Leiva