Interview mit einer Patientin
Vor über einem Jahr wurde Gabi Meier* am Paul Scherrer Institut PSI mit Protonentherapie behandelt. Ärzte hatten hinter ihrem rechten Auge eine Geschwulst entdeckt, die den Sehnerv umgab. Chemotherapie war bei dieser Krebsart ungeeignet. Auch eine Operation kam bei der 68-jährigen Patientin nicht in Frage, weil der Tumor fest mit dem Nerv verwachsen und bereits weit fortgeschritten war. Einzig am PSI gab es noch eine Möglichkeit, den Tumor so zu behandeln, dass benachbarte Strukturen und das Auge geschont wurden.
Frau Meier, vor über einem Jahr haben Sie Ihre Bestrahlung am PSI bekommen. Wie geht es Ihnen heute?
«Einige Monate nachdem die Protonenbehandlung vorbei war, habe ich gemerkt, dass ich immer mehr sehe. Zwar nur schemenhaft, aber ich sehe! Das war sensationell.»
Es geht mir sehr gut. Ich habe vor der Behandlung auf dem rechten Auge gar nichts mehr gesehen. Jetzt geht es dem Auge deutlich besser und ich kann wieder alles machen: Ich kann Sport treiben, ich kann wandern und ich habe keine Kopfschmerzen mehr. Mir geht es wirklich wunderbar.
Wie hatte damals alles angefangen?
Mit einem schwarzen Fleck im rechten Auge. Das war vor etwa 7 Jahren. Zuerst dachte ich, dass das wieder weggehen würde. Dann hat sich so eine Art Schleier über dem Auge gebildet. Im Internet habe ich gelesen, dass das ein Zeichen vom grauen Star sein kann, deshalb bin ich zuerst nicht zum Arzt gegangen.
Wurde es dann wieder besser?
Nein, deshalb bin ich dann doch bei mehreren Ärzten gewesen. Ein grauer Star war es nicht. Die Augenärztin hat mich gleich weiter an ein Spital überwiesen. Dort hiess es nur, ich hätte einen Schlag gehabt und der Sehnerv sei irreparabel blockiert. Doch es verschlimmerte sich stetig, weshalb ich Jahre später nochmals zur Augenärztin ging, die mich zu weiteren Untersuchungen ins Spital schickte. Zu der Zeit habe ich auf dem rechten Auge praktisch nichts mehr gesehen. Im Computertomogramm entdeckte man dann, dass ich ein Meningeom (ein langsam wachsender Hirntumor, Anm. d. Red.) am Sehnerv habe. Darauf haben die Ärzte sofort reagiert und gesagt, dass man bestrahlen muss.
Wurde die Bestrahlung gleich am PSI gemacht?
Zuerst sollte ich in der Onkologie bei uns in der Stadt eine ganz normale Bestrahlung bekommen. Unterdessen hatte ich aber gehört, dass man das am Paul Scherrer Institut punktuell machen kann, viel genauer. Da habe ich meinen Arzt gefragt, und der hat mit dem PSI abgeklärt, ob sich mein Tumor für eine Behandlung dort eignen würde. Nachdem man dann am PSI ein MRT (Magnetresonanztomogramm,Anm. d. Red.) vom Kopf gemacht hatte, wurde sehr schnell entschieden, dass ich 28 Mal Protonentherapie bekommen werde. Inzwischen sah ich rein gar nichts mehr auf dem rechten Auge.
Mit welchen Erwartungen sind Sie an das PSI gegangen?
Eigentlich mit ganz wenigen Erwartungen, denn ich wusste nicht, wie alles wird. Ob die Therapie überhaupt etwas nützt. So bin ich zu den Ärzten gekommen, und die haben mir genau erklärt, was sie machen und was sie erreichen können. Sie haben mir nicht versprochen, dass ich nachher irgendeine Verbesserung haben würde beim Sehen. Sie haben nur versprochen, dass sie das Wachstum stoppen können. Das fand ich in Ordnung.
Sie waren also erst zur Voruntersuchung und haben dann einen Termin zur Bestrahlung erhalten?
Genau. Aber dazwischen musste ich noch eine Moulage bekommen, das ist die Vorbereitungsprozedur für die Bestrahlung. Von den Zähnen wird ein Abdruck mit einer weichen Paste gemacht, die dann hart wird. Fast wie beim Zahnarzt. Am Ende ist das wie eine Zahnschiene, die aber über die Zähne hinausgeht. Beim Bestrahlen wird dieser Abdruck an einem Apparat befestigt. Man muss draufbeissen und liegt dann in einer fixen Position. Das ist wichtig, damit der Kopf ganz ruhig ist. Man darf sich während der Bestrahlung absolut nicht bewegen.
Wie lief denn so eine Behandlung ab?
Man ist auf einer Liege festgemacht und erhält zuerst ein CT. Dann fährt man in den Untersuchungsraum, wo die Gantry steht. Das ist der Mittelpunkt der Protonenbehandlung. Das erste Mal ist unheimlich. Man liegt auf einem automatischen Tisch und ist allein. Der Tisch fährt dann ins Zentrum von dem Gerät hinein. Wenn Sie den ganzen ungeheuren Apparat sehen, haben Sie zuerst Angst. Vor allem, wenn es dann losgeht und sich die Gantry auf Sie zubewegt. Die ist 40 Tonnen schwer und man denkt, hoffentlich hält das. Aber man bekommt ein Mikrofon, damit man sich melden kann, wenn die Angst zu gross wird. Bei jeder Sitzung hat sich der Apparat dreimal gedreht. So kam die Bestrahlung von der Seite, von vorn und von hinten. Dann hört man immer nur das Tack, Tack, Tack, Tack, und dann ist es vorbei (Diese Geräusche kommen von Kunststoffplatten, die bei der am PSI entwickelten Spot-Scanning-Technik zur Anpassung der Energie des Protonenstrahls in den Strahlengang geschoben werden, Anm. d. Red.).
Wie lange hat die Bestrahlung gedauert?
Die Bestrahlung selbst nur etwa drei Minuten. Die Zeit in der Gantry ging etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Die ganze Vorbereitung dauerte aber von einer halben bis zu einer Stunde. Ich musste vor jeder Bestrahlung ein CT machen lassen und jedes zwölfte Mal auch eines nach der Bestrahlung.
Wurde jeden Tag bestrahlt?
Es wurde fünfmal in der Woche bestrahlt. Samstag und Sonntag nicht. Da mich mein Mann immer gefahren hat, bin ich jeden Tag zu Hause gewesen. Das ist gut für die Moral. Und zu Hause bin ich dann manchmal sogar schwimmen gewesen im See. Es war schön heimzugehen.
Gab es irgendwelche Nebenwirkungen vor, während oder nach der Behandlung?
Nein, überhaupt nicht. Es ging mir richtig gut. Vielleicht bin ich ein bisschen müder als früher und brauche ein bisschen mehr Schlaf. Das ist aber auch das Einzige. Ich lege mich am Nachmittag jetzt manchmal eine Viertelstunde hin.
Was würden Sie jemandem sagen, dem der Arzt eine solche Behandlung empfiehlt?
Die Behandlung ist gut. Man braucht keine Angst davor zu haben. Ich hatte immer das Gefühl, in guten Händen zu sein. Ich war mit allen zufrieden: mit den Ärzten, dem Sekretariat, den Leuten, die die Moulage machen und einen für die Bestrahlung vorbereiten. Ich habe nur Lob für alle.
Wie war das, als Sie die letzte Bestrahlung hinter sich hatten?
Das war schön. Man hat dann schon genug mit der Zeit: immer das Hin- und Herfahren und die Vorbereitung, immer diesen Apparat in den Mund nehmen. Obwohl es langsam zur Routine wurde, war ich sehr erlöst, als ich mit der Therapie fertig war.
Hatten Sie sich etwas vorgenommen, was Sie nach der Behandlung machen wollten?
Mein Mann und ich haben uns gesagt, wenn alles vorbei ist, gehen wir drei Wochen nach Amerika. Das haben wir dann auch gemacht. Wir haben drei Städte bereist: Boston, New York und Washington. Sogar meine Tochter ist mitgekommen, denn sie hat durch meine Erkrankung auch sehr gelitten, wie meine ganze Familie. Aber alle haben mich immer sehr unterstützt, besonders mein Mann.
Hat sich für Sie seitdem etwas verändert?
Ich lebe bewusster. Zwar bin ich eher ein nervöser Typ, aber jetzt kann ich die Sachen viel gelassener nehmen. Ich sage mir dann: Heute ist heute und morgen ist morgen. Früher habe ich immer schon an morgen, nächste Woche und das, was ich alles tun muss, gedacht. Jetzt lebe ich einen Tag nach dem anderen. Dann geht es mir auch sehr gut.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Ich mache mit dem Leben weiter. Jedes halbe Jahr habe ich eine Kontrolle bei der Augenärztin, um das Blickfeld zu überprüfen sowie ein Kontroll-MRT am PSI. In meiner Freizeit wandere ich gerne, gehe Pilze und Beeren suchen. Im Wald und in der Natur zu sein, das macht mich froh. Dort tanke ich auf. Und ich höre Musik und lese gerne.
Apropos Lesen: Wie hat sich Ihre Sehfähigkeit auf dem rechten Auge gebessert?
Als die Protonenbehandlung etwa drei Monate vorbei war, habe ich gemerkt, dass ich auf dem rechten Auge immer mehr sehe, jetzt sehe ich rechts wieder fünfzehn Prozent. Das hilft dem linken, gesunden Auge beim Sehen. Rechts sehe ich zwar auch jetzt nur schemenhaft, aber ich sehe. Das hätte ich nie geglaubt, das ist sensationell. Wenn man merkt, dass man von null auf fünfzehn Prozent Sehleistung kommt. Das ist wie im Himmel!
*Name von der Redaktion geändert
Das Interview führte Sabine Goldhahn
Weiterführende Informationen
Medienmitteilung zu 20 Jahre Spot-Scanning-Technik für die Protonentherapie mit weiterführenden InformationenWebseite des Zentrums für Protonentherapie am PSI
Kontakt
Dr. Ulrike Kliebsch,Leiterin Studien- und Forschungsbüro,
Zentrum für Protonentherapie,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 55 82, E-Mail: ulrike.kliebsch@psi.ch