Wettbewerbsfähig dank hohem Druck

Mit Verfahren, die die Tessiner Firma Casale entwickelt, werden verschiedenen Grundstoffe für die chemische Industrie hergestellt, aus denen man anschliessend Produkte wie Kunstdünger oder Plexiglas herstellen kann. In einer Kooperation mit dem PSI will Casale diese Herstellungsprozesse nun noch effizienter machen. Grundchemieerzeugnisse sind Exportprodukte, die weltweit in hartem Wettbewerb stehen. Kleinste Unterschiede in den Produktionskosten können matchentscheidend sein, wenn es darum geht, für welche Lizenz ein Anlagenbetreiber sich entscheidet.

Markus Obrist vom PSI und Giacomo Colmegna von der Tessiner Firma Casale forschen an effizienten Verfahren zur Herstellung von Grundstoffen für die chemische Industrie. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Teil der Versuchsanlage, an der das PSI mit der Firma Casale neue Verfahren zur Herstellung von Grundstoffen für die chemische Industrie entwickelt. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
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Alltägliche, massenhaft verwendete Produkte wie Kunstdünger oder Plexiglas haben einen beeindruckenden Entstehungsprozess hinter sich. Die Stoffe, aus denen sie hergestellt werden, entstehen unter hohem Druck und hohen Temperaturen in einer Gaswolke – im Inneren grosser chemischer Anlagen. Ausgangsprodukt ist oft Erdgas. Verfahren, die die Tessiner Firma Casale entwickelt, sorgen dafür, dass daraus die verschiedenen Grundstoffe entstehen, aus denen man anschliessend Produkte wie eben Kunstdünger herstellen kann. Giacomo Colmegna, Diplomingenieur bei Casale, fasst es locker zusammen: Alle unsere Produktionsprozesse basieren darauf, Erdgas in nützliche Produkte umzuwandeln.

Casale in Lugano gehört bei der Planung von Anlagen für die Herstellung von Grundstoffen zu den grössten Spielern weltweit. Das Unternehmen produziert nicht selbst, sondern verkauft Lizenzen für die chemischen Prozesse, auf Basis derer andere dann die benötigten, grundlegenden chemischen Stoffe produzieren können, etwa Methanol, Harnstoff oder Ammoniak. Zusammen mit dem Paul Scherrer Institut will Casale diese Herstellungsprozesse nun noch effizienter machen.

Industriepartner im Labor

In der Industrie für chemische Grundstoffe gibt es seit Jahren einen Trend zu immer grösseren Produktionskapazitäten. Er bringt ein grundsätzliches Problem mit sich: In absehbarer Zeit werden Wirtschaftlichkeit und technische Möglichkeiten der heute verwendeten Verfahren an ihre Grenzen stossen. Die Entwicklungsabteilung von Casale arbeitet an Prozessen, die den steigenden Anforderungen entsprechen und spannt dafür mit dem Labor für Verbrennungsforschung des PSI zusammen. Seit mittlerweile vier Jahren begleitet Giacomo Colmegna nun das gemeinsame Projekt vor Ort. Das PSI betreibt zahlreiche Projekte in Zusammenarbeit mit der Industrie. Eine ununterbrochene Präsenz eines Industriepartners im Labor über einen solchen Zeitraum ist dennoch eine Seltenheit und zeugt vom enormen Stellenwert dieser Zusammenarbeit für Casale.

Für das PSI hat man sich entschieden, weil hier zum einen Anlagen betrieben werden, die gross genug sind, um damit Verfahren für die Industrie ausprobieren zu können. Zum anderen wissen die Forschenden des PSI wie man die Eigenschaften des Gases in der Anlage berührungslos messen kann: Statt ein Thermometer oder eine andere Sonde in die Anlage einzuführen, messen sie mit einem Laserstrahl von aussen, wie heiss das Gas ist oder wie es zusammengesetzt ist. Die Messverfahren sind aufwendig, haben aber den Vorteil, dass sie die Vorgänge in der Anlage nicht beeinflussen.

Zusammen mit dem PSI arbeitet Casale an der Entwicklung einer Methode, die es möglich macht, die Produktionsmenge zu vergrössern. Dazu soll der Druck in der Anlage beim Herstellungsprozess erhöht werden, denn je höher der Druck, desto höher der Mengenstrom der im Verfahren erzeugten Stoffe. So kann in derselben Zeit deutlich mehr Erdgas zu den Grundstoffen verarbeitet werden.

Auch jetzt schon arbeitet Casale mit Druck, aber nur mit bis zu 30 Bar. Anlagen, die Produkte nach dem bisherigen Verfahren herstellen, müssten gigantische Dimensionen aufweisen, würden sie bei 1 Bar arbeiten, also dem Druck, der in der Umgebung herrscht, erzählt PSI-Versuchsingenieur Markus Obrist.

Am PSI soll ein Verfahren unter einem Druck von bis zu 100 Bar getestet werden. Das entspricht dem Druck im Ozean in einer Tiefe von rund einem Kilometer. Ziel ist, auch unter diesem hohen Druck stabile Abläufe zu erreichen und unerwünschte Nebenprodukte zu vermeiden. Wenn die Technologie erst einmal zuverlässig funktioniert, könnten wir die Produktion um die Hälfte steigern. Die entsprechende Anlage würde aber nur um 20 % teurer, so Colmegna zuversichtlich.

Harter Wettbewerb

Das Ganze klingt jedoch einfacher als es ist. Die Anlagenteile müssen vor allem dickwandiger ausgelegt werden, um den enormen Druckkräften und hohen Temperaturen standzuhalten. Darüber hinaus lässt sich die Technologie bei hohem Druck schwerer beherrschen. Auch hat erhöhter Druck Einfluss auf die chemischen Abläufe in der Anlage – und das nicht immer in der erwünschten Weise. Diese Einflüsse müssen daher gründlich untersucht werden. Hier kommt die Erfahrung des PSI bei solchen Analysen zum Tragen. Obrist erläutert: Beispielsweise kann sich vermehrt Russ bilden. Dieser würde sich als nicht erwünschter Kohlenstoff störend auf die folgenden, sehr empfindlichen Prozessschritte auswirken. Wir ermitteln im Rahmen des Projekts, ob und wie sich unerwünschte Begleitstoffe unter höheren Drücken bilden. Auch verschiedene Begleitstoffe, die natürlicherweise im Erdgas vorkommen, können Einfluss haben und müssen auf ihre Auswirkungen untersucht werden.

Sobald die Ingenieure verlässliche Daten haben, können sie darangehen, die Auslegung der kommerziellen Anlagen den veränderten Bedingungen anzupassen. Ziel ist eine effizientere Produktion im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren. Grundchemieerzeugnisse sind durchwegs Exportprodukte, die weltweit in hartem Wettbewerb stehen. Kleinste Unterschiede in den Produktionskosten können matchentscheidend sein, wenn es darum geht, für welche Lizenz ein Anlagenbetreiber sich entscheidet.

Text: Alexandra von Ascheraden