«Ein Juwel, das man pflegen muss»

HIMB ist eines der beiden Teile des Upgrades IMPACT. Klaus Kirch, Leiter des Labors für Teilchenphysik am PSI, beantwortet, weshalb der geplante Umbau unser Verständnis des Universums verbessern wird.

Klaus Kirch, Leiter des Labors für Teilchenphysik am PSI, an einem experimentellen Aufbau seines Labors.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Herr Kirch, die Myonenanlage des PSI ist weltweit die Nummer 1. Warum soll die Anlage dann überarbeitet werden?

Klaus Kirch: Es stimmt, unsere Protonenbeschleunigeranlage HIPA ist weltweit einmalig und unübertroffen. Bei der Produktion von Myonen sind wir eindeutig ganz vorne. Was wir nun gemeinsam mit der Universität Zürich vorhaben, ist ein zeitgemässer Ausbau der Forschung, die hier durchgeführt werden kann. Damit bleiben wir auch in den kommenden 20 Jahren an der Weltspitze.

Das sind ja einige Superlative.

Durchaus. HIPA ist ein Juwel, und das muss man pflegen. Wir sind verwöhnt, dass die Anlage so prima läuft. Aber es gibt hier einzelne Bauteile, die sind 45 Jahre alt. Also sind wir auch eine kontinuierliche Baustelle, um den immensen Wert der Anlage zu erhalten.

Können Sie beschreiben, welche Experimente konkret mit den Myonen gemacht werden?

Mit den Myonen erforschen wir einerseits die Teilchenphysik. Da geht es anhand kleinster Teilchen um die ganz grossen, fundamentalen Fragen: Welche exakten Eigenschaften haben die Bausteine der Materie, beispielsweise das Proton als Teil der Atomkerne; und nach welchen Gesetzen funktioniert das Universum? Wir führen Grundlagenforschung durch an der Front dessen, was man heute wissen kann. Und wir arbeiten mit absoluter Hochtechnologie, was uns für Nachwuchsforschende sehr attraktiv macht.

Wie meinen Sie das mit der Hochtechnologie?

Unter anderem entwickeln wir derzeit die nächste Generation von dünnen Pixel-Detektoren, die eine nie da gewesene Zeitauflösung im Pikosekundenbereich hat. In der Teilchenphysik sind die Anforderungen enorm hoch und die benötigten Systeme kann man nicht von der Stange kaufen. Wir entwickeln und bauen also diese Geräte selber, weil wir sonst keinen Fortschritt in unserer Forschung machen würden. Dadurch setzen wir nebenbei auch ganz neue Standards. Vieles, was bei uns in der Teilchenphysik erfolgreich entwickelt wurde, findet sich später in einfacherer und robusterer Version in anderen Forschungsbereichen, beispielsweise Detektoren oder spezielle Elektronik-Systeme.

Sie sagten, die Teilchenphysik sei der eine Teil der Forschung mit Myonen. Was ist der andere?

Neben der Teilchenphysik nutzen PSI-Forschende die Myonen auch für materialwissenschaftliche Experimente. Schon seit 1989 betreibt das PSI eine Anlage für Myonenspin-Rotation. Bei dieser Methode platziert man ein Myon im Material der Probe, wartet, bis es nach etwa 2 Millionstelsekunden zerfällt, und misst dann das Zerfallsprodukt. Dadurch lassen sich lokal bestimmte Eigenschaften des Materials vermessen, die keine andere Methode liefert. Bislang schicken wir in der Regel nur ein Myon nach dem anderen ins Material. Im Zuge des Upgrades aber wollen wir die Spur der Zerfallsteilchen nachvollziehen und dadurch ihren jeweiligen Ursprungsort ermitteln. Wenn wir das können, müssen wir nicht mehr jedes Myon abwarten. Aus einer einspurigen Strasse würde dann quasi eine 12-spurige Autobahn. Oder sogar eine hundertspurige! Dann werden völlig andere Messungen möglich. Wir könnten unterschiedliche Bereiche in einer Probe zeitgleich vermessen. Oder zwei verschiedene Proben nebeneinander vermessen, aber bei exakt gleicher Temperatur, gleichem Druck und so weiter.

Warum kommt das Upgrade gerade jetzt?

Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem wir den Bedarf haben und auch das notwendige Können. Wir hätten früher solche hohen Teilchenintensitäten nicht handhaben können. Weder gab es die dafür notwendigen Detektoren, noch gab es die nötige Technologie zur Datenverarbeitung. Bei den Experimenten fallen nämlich gewaltigen Mengen an Messdaten an. Das ist auch für den im Juni 2021 neu hier am PSI gegründeten Forschungsbereich für Computergestützte Wissenschaften, Theorie und Daten interessant. Und es ist sehr schön zu sehen: Die Forschenden in diesen verschiedenen Bereichen können viel voneinander lernen und profitieren.

Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Weitere Informationen

 

Kontakt

Prof. Dr. Klaus Kirch
Leiter Labor für Teilchenphysik
Institut Paul Scherrer, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 32 78; E-Mail: klaus.kirch@psi.ch [Deutsch, Englisch]

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