Radionuklide für personalisierte Medizin

TATTOOS ist Teil des geplanten Upgrades IMPACT. Roger Schibli, Leiter des Zentrums für radiopharmazeutische Wissenschaften am PSI, erklärt die Bedeutung für die Zukunft der Tumortherapie.

Roger Schibli, Leiter des Zentrums für radiopharmazeutische Wissenschaften am PSI, freut sich auf zukünftige Möglichkeiten zur Herstellung von Krebsmedikamenten.
(Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Herr Schibli, das PSI ist für seine Grossforschungsanlagen bekannt. Da überrascht es vielleicht, dass hier ebenfalls Medikamente für die Behandlung von Tumoren hergestellt werden, sogenannte Radiopharmazeutika. Wie passt das zusammen?

Roger Schibli: Medizinisch etablierte Radiopharmazeutika werden täglich frisch an Spitälern oder von kommerziellen Anbietern hergestellt. Am PSI dagegen stellen wir neue, experimentelle Wirkstoffe her. Es handelt sich dabei um Medikamente, die radioaktive Isotope, sogenannte Radionuklide, tragen. Zukünftig wollen wir am PSI die vielen hochenergetischen Protonen von HIPA für die Produktion unserer Radionuklide nutzen. Das eröffnet Produktionswege für neue, noch nie untersuchte Radionuklide, die in Quantität und Qualität ihresgleichen suchen.

Was ist der Stand in Sachen Radionuklide für die Krebstherapie?

Die Idee, Tumore mit Radionukliden zu behandeln, geht zurück in die 1950er-Jahre. Das radioaktive Spaltprodukt Jod-131 war seit der Entdeckung der Kernspaltung von Uran bekannt; weil Jodid selektiv in die Schilddrüse wandert, wurde damit eine der besten Therapieformen für Schilddrüsenkarzinome entwickelt. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat man erkannt, dass man andere Radionuklide zur Therapie sogenannter neuroendokriner Tumore einsetzen könnte, also bei Krebsgeschwüren in hormonproduzierendem Drüsengewebe. Und man hat – unter anderem am Universitätsspital Basel – die Chemie entwickelt, mit der man die Isotope an Trägermoleküle bindet, die wiederum an die Tumorzellen andocken.

Und jetzt?

In den letzten fünf Jahren ist ein regelrechter Boom um Radiopharmazeutika entstanden. Jetzt sucht man nach massgeschneiderten Radionukliden. Als einfaches Beispiel: Wenn Sie eine Person mit sehr kleinen Tochtergeschwülsten, sogenannten Metastasen, behandeln, dann brauchen Sie ein anderes Radionuklid als bei grossen Metastasen.

Geht es immer um Metastasen?

Ja. Ein einzelnes Krebsgeschwür – üblicherweise der Primärtumor – operiert man besser. Radiopharmazeutika kommen ins Spiel, wenn Operieren keine Option ist oder die Chemotherapie versagt hat. Also in den Fällen, für die es lange Zeit keine Hoffnung mehr gab. Für diese Menschen wollen wir Theranostika entwickeln.

Was versteht man unter Theranostik?

Theranostik beschreibt die Kombination von Therapie und Diagnostik. Das ist der neue Standard in der Radiopharmazie: Das diagnostische und das therapeutische Radionuklid gehören dabei im besten Fall zum gleichen Element, also zur gleichen Atomsorte. Dadurch verhalten sie sich im Körper gleich. So kann man bei der Diagnostik nicht nur die Metastasen lokalisieren, sondern wir können auch vorhersagen, welche Metastase viel vom Therapeutikum aufnehmen wird und welche Metastase noch zu wenig. Dann kann man entsprechend reagieren und genau das meint man, wenn man von personalisierter Therapie spricht.

Was beinhaltet das geplante Upgrade TATTOOS?

TATTOOS wird eine völlig neue, weltweit einzigartige Anlage, die wir in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich und dem Universitätsspital Zürich aufbauen. Hier am PSI wird die Anlage eine neue Protonenstrahllinie beinhalten sowie neue Targets, einen Massenseparator und neue Radiochemielabore. Die Targets sind viele dünne hintereinandergeschaltete Metallscheiben. Wenn die hochenergetischen Protonen auf die Scheiben treffen, entsteht eine Vielzahl von Radionukliden. Und die Scheiben werden sehr heiss, wir reden von mehr als 2000 Grad Celsius. Dabei verdampfen viele der Radionuklide und wir können sie einsammeln. Dann isolieren wir die von uns gewünschten Radionuklide mittels Massenspektrometrie und chemischen Trennmethoden.

Wie funktioniert die Massenspektrometrie?

Dabei wird mithilfe von Lasern gezielt eine bestimmte Sorte Isotope ionisiert, damit sie noch besser abgetrennt werden können. Das PSI ist bereits sehr gut aufgestellt in Sachen Laserphysik und arbeitet auf diesem Gebiet auch eng mit dem CERN zusammen. Darauf können wir nun aufbauen.

Wann können wir erwarten, dass diese neuen Radiopharmazeutika in den Spitälern angewendet werden?

Die Entwicklung von Radiopharmazeutika ist, nicht anders als bei anderen Medikamenten, ein langwieriger Prozess über viele Jahren. Mit TATTOOS betreten wir absolutes Neuland und es wird einige Jahre und viele präklinische Experimente brauchen, bis wir ein neues Radiopharmazeutikum im Patienten testen können.

Interview: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Weitere Informationen

 

Kontakt

Prof. Dr. Roger Schibli
Leiter Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaften
Institut Paul Scherrer, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 28 37; E-Mail: roger.schibli@psi.ch [Deutsch, Englisch]

Nutzungsrechte

Das PSI stellt Bild- und/oder Videomaterial für eine Berichterstattung über den Inhalt des obigen Textes in den Medien kostenfrei zur Verfügung. Eine Verwendung dieses Materials für andere Zwecke ist nicht gestattet. Dazu gehören auch die Übernahme des Bild- und Videomaterials in Datenbanken sowie ein Verkauf durch Dritte.