Radioaktive Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung sowie teilweise aus dem Betrieb und dem Rückbau von Kernkraftwerken sollen gemäss dem Schweizer Kernenergiegesetz in einem geologischen Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle entsorgt werden. Dort lagern sie in Zementmaterialien verpackt. Forschende des Paul Scherrer Instituts und des Karlsruher Instituts für Technologie in Deutschland haben nun am Beispiel von Uran gezeigt, wie der Zement die Bewegungsfreiheit der radioaktiven Substanzen einschränkt. Die neuen Erkenntnisse verbessern das Verständnis der Prozesse, die im Tiefenlager ablaufen werden.
In der Schweiz müssen radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken, Medizin, Industrie und Forschung gemäss Kernenergiegesetz in geologischen Tiefenlagern entsorgt werden. Schwach- und mittelaktive Abfälle, wie zum Beispiel aus der Forschung, der Medizin oder dem Betrieb und dem Rückbau der Kernkraftwerke sollen über mindestens 100’000 Jahre sicher eingeschlossen werden. Nach Ablauf dieser Zeit wird die Radioaktivität der Abfälle auf das Niveau der natürlichen Strahlung gefallen sein. Im Gegensatz dazu muss das Tiefenlager für hochaktive Abfälle wie verbrauchte Brennelemente der Kernkraftwerke über mindestens 1‘000‘000 Jahre einen sicheren Verschluss bieten. Auch hier klingt die Radioaktivität nach dieser Frist auf die Werte ab, die in der Natur vorkommen.
Schwach- und mittelaktive Abfälle werden bereits vor dem Transport ins Tiefenlager in zementhaltigen Materialien verpackt. Der Zement ist vor allem in der Phase der Zwischenlagerung wichtig. Denn er verhindert den Austritt der Radioaktivität während dieser Phase, die sich über einige Jahrzehnte erstrecken kann. Darüber hinaus werden alle schwach- und mittelaktiven Abfälle für die spätere Tiefenlagerung aufbereitet. Als Teil dieser Aufbereitung werden viele dieser Abfälle in Stahlfässer einzementiert. Gemäss dem schweizerischen Entsorgungskonzept werden die so verpackten Abfälle in der Oberflächenanlage des Tiefenlagers in Betoncontainer umgeladen, wobei die Hohlräume zwischen den Fässern in den Containern wiederum mit einem Zementmaterial verfüllt werden. Die Lagerkammern des Tiefenlagers, in denen diese Container eingelagert werden, werden nach der Einlagerung ebenfalls mit einem speziellen Zementmörtel aufgefüllt. Alle Zementeinfassungen dienen aber nur zur Transport- oder Lagervereinfachung der radioaktiven Abfälle. Der Zement hat im Tiefenlager nicht die Funktion einer Barriere, die die radioaktiven Substanzen daran hindern soll, in die Umwelt zu gelangen. Diese Barrierefunktion kommt dem Tongestein zu, aus dem das Tiefenlager besteht. Dennoch verbringt der radioaktive Abfall die ersten paar tausend Jahre in der von Zement dominierten Umgebung, bevor sich der Zement in Grundwasser auflöst. Dieses Grundwasser wird dann mitsamt den radioaktiven Substanzen vom Tongestein im Tiefenlager langfristig zurückgehalten.
Für die Berechnungen der Vorgänge im Tiefenlager ist es wichtig zu wissen, wie die radioaktiven Substanzen sich im Zement verhalten und in welchem Zustand sie sich befinden, wenn sie schliesslich vom Zement in das Tongestein übergehen.
Zement zögert die Begegnung der radioaktiven Substanzen mit dem Tongestein hinaus
Schon frühere Messungen hatten darauf hingewiesen, dass Zement die Beweglichkeit radioaktiver Substanzen, wie Uran, stark einschränkt. Die Gründe dafür und der genaue Verbleib der Substanzen im Zement waren aber ungeklärt. Die neue Studie gibt nun Aufschluss: Uran wird sowohl an der Oberfläche als auch im Innern der Struktur von Zementmineralien festgehalten. Vor allem der Einbau in die innere Struktur eines bestimmten Zementminerals sorgt dafür, dass Uran über sehr lange Zeit vom Zement zurückgehalten wird.
Eingeklemmtes Uran
Zement ist eine Mischung aus mehreren Mineralien. Eine dieser Mineralsorten, die – wie sich jetzt herausstellt - besonders wichtig in einem geologischen Tiefenlager ist, sind die sogenannten Kalziumsilikathydrate. Sie bestehen aus den Elementen Kalzium, Silizium, Sauerstoff und Wasserstoff. In ihrem Inneren sind Schichten aus Kalzium- und Silikationen durch Zwischenschichten voneinander getrennt, in denen normalerweise Wassermoleküle oder Kalziumionen sitzen. Wie die neue Studie zeigt, kann Uran in diese Zwischenschichten eindringen und dort gebunden werden.
Die Wissenschaftler konnten dies mithilfe einer laserspektroskopischen Methode nachweisen, bei der sie Laserlicht auf die Uranatome lenken. Die Uranatome absorbieren zunächst das eingestrahlte Laserlicht, wodurch sie einen Energieüberschuss erhalten; sie sind – so der Fachbegriff – angeregt. Den Energieüberschuss werden die Atome los, indem sie selbst Licht abstrahlen, dessen Eigenschaften die Forscher mit einem Detektor bestimmen. Aus diesen Messungen können die Wissenschaftler darauf schliessen, wo das Uran sitzt, das bei den Messungen Licht absorbiert und dann wieder abstrahlt. Uran, das an der Oberfläche der Zementmineralien gebunden ist, absorbiert und strahlt Licht mit einer anderen Energie (Wellenlänge) ab als Uran, das in der Struktur der Zementmineralien steckt. Der Unterschied ist allerdings sehr klein und war deshalb bei bisherigen Experimenten nicht deutlich genug zutage getreten. Sichtbar geworden ist dieser Unterschied in der Energie erst jetzt dank einer Messmethode, die der PSI-Wissenschaftler Jan Tits für den Nachweis des Uran-Einbaus entwickelt hat. Durchgeführt wurden die Messungen mit einem Laser des Instituts für Nukleare Entsorgung am Karlsruher Institut für Technologie in Deutschland.
Besseres Verständnis der Rolle von Zement
Der Nachweis, dass Uran auch in den Zwischenschichten von Kalziumsilikathydraten eingeschlossen wird, verbessert das Verständnis des Verhaltens der radioaktiven Substanzen in den Zementmaterialien. Er hilft, den Anfangszustand für die Langzeitlagerung der radioaktiven Abfälle im Tongestein besser zu beschreiben. „Irgendwann lösen sich alle Zementmineralien im Grundwasser, das in ein geologisches Tiefenlager eindringt, auf. Von all diesen Mineralien sind gerade Kalziumsilikathydrate die stabilsten, d.h. sie halten in einem geologischen Tiefenlager am längsten der zersetzenden Wirkung von Grundwasser aus dem Wirtgestein stand“, erklärt Erich Wieland, Leiter der Gruppe Zementsysteme im Labor für Endlagersicherheit am PSI.
Kalziumsilikathydrate liegen im Zement in Form von winzigen Partikeln (Nanopartikel) vor. Diese Partikel sind einem stetigen Wandel unterworfen. Die kleinen Partikel lösen sich auf und bilden grössere Partikel. Bei diesem Wachstumsprozess kann Uran in die Struktur der Kalziumsilikathydrate eingebaut werden, sodass es schliesslich eingeschlossen und dadurch vom Grundwasser abgeschirmt ist. Die PSI-Forscher weisen darauf hin, dass diese Abschirmung genügt, um das Vordringen von Uran und anderen radioaktiven Substanzen bis zum Tongestein im Tiefenlager um mehrere Tausend Jahre hinauszuzögern.
Text: Paul Scherrer Institut/Leonid Leiva
Weiterführende Informationen
Labor für Endlagersicherheit am PSI (in Englisch)Kontakt
Dr. Erich Wieland, Leiter der Gruppe Zementsysteme, Labor für Endlagersicherheit, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, SchweizTelefon: +41 56 310 2291, E-Mail: erich.wieland@psi.ch
Dr. Jan Tits, Gruppe Zementsysteme, Labor für Endlagersicherheit, Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 4314, E-Mail: jan.tits@psi.ch