Zweite Strahllinie für den SwissFEL

Dieses Jahr starten am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL die ersten Pilotexperimente. Die neue Grossforschungsanlage des PSI wird sehr kurze Pulse von Röntgenlicht mit den Eigenschaften von Laserlicht erzeugen. Mit diesem Röntgenlicht können Forschende ein breites Spektrum an Experimenten durchführen. Doch lassen sich damit nicht alle Fragen beantworten, die die Forschenden interessieren. Im Jahr 2020 wird am SwissFEL eine zweite Strahllinie ihren Betrieb aufnehmen, die eine noch grössere Vielfalt an Experimenten erlaubt.

Die Bewegung des Myoglobinmoleküls (von Position 1 nach Position 2), das für lebenswichtige Vorgänge beim Atmen verantwortlich ist, kann per Computer mit geeigneten Berechnungsmethoden vorausgesagt werden. Eine experimentelle Überprüfung dieser theoretischen Modelle wird erst mit der neuen SwissFEL-Anlage möglich sein.

Wollen Forschende die Entstehung neuer Moleküle bei chemischen Reaktionen verfolgen, die Funktionsweise lebenswichtiger Proteine entschlüsseln oder von Materialien für elektronische Bauteile, geraten sie schnell an ihre Grenzen. Zu schnell sind hier die Abläufe, als dass man sie im Detail erfassen könnte. Freie-Elektronen-Röntgenlaser wie der SwissFEL eröffnen für deren Erforschung neue Möglichkeiten. Mit vielversprechenden Perspektiven für die Anwendung: Diese reichen von umweltfreundlicheren Verfahren für die chemische Industrie über massgeschneiderte Medikamente für die gezielte Behandlung von Krankheiten bis zur Entwicklung neuer Materialien für die Elektronik der Zukunft.

Der SwissFEL funktioniert ähnlich wie eine Filmkamera, bei der die rasche Abfolge fotografischer Einzelbilder den bewegten Film ergibt. Mit seinen intensiven Röntgenlicht-Pulsen durchleuchtet er für einen Bruchteil einer billionstel Sekunde die zu untersuchenden Proben. Diese Momentaufnahmen werden von Detektoren registriert und können dann zu einem „Film“ zusammengefügt werden. Pro Sekunde können mit dem SwissFEL 100 solcher „Fotos“ aufgenommen werden, die sich dann zu einem Film zusammenfügen lassen.

Massgeschneidertes Angebot für Forschende

Dieses Jahr starten am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL die ersten Pilotexperimente. Zwei Experimentierstationen werden Forscherinnen und Forschern aus der Schweiz und der ganzen Welt ab 2018 zur Verfügung stehen. Eine dritte befindet sich in Planung. Die Stationen sind mit unterschiedlichen Experimentiermöglichkeiten ausgestattet, die genau auf die zu erwartenden Bedürfnisse ihrer Benutzerinnen und Benutzer hin konzipiert wurden. Denn jede zu untersuchende Fragestellung – ob biologisch, chemisch oder physikalisch – stellt andere Anforderungen an die Versuchsanordnung und an die für die Untersuchung am besten geeignete Methode.

Aber auch die Art des Röntgenlichts entscheidet darüber, was damit am besten erforscht werden kann: An den drei Experimentierstationen können die Forschenden ihre Versuche mit so genanntem „harten“ Röntgenlicht durchführen. Dieses Röntgenlicht hat eine extrem kurze Wellenlänge. Es wird erzeugt, indem Elektronen auf hohe Energie beschleunigt und dann durch eine spezielle Magnetanordnung (den Undulatoren) auf eine Slalombahn gezwungen werden. Dabei strahlen die Elektronen dann Röntgenlicht mit den Eigenschaften von Laserlicht ab.

Dieses sehr energiereiche Röntgenlicht eignet sich optimal dafür, zu verfolgen, wie und wohin sich Atome während eines ultraschnellen Prozesses bewegen. Wollen die Forschenden jedoch genauer verstehen, was mit Atomen oder Molekülen geschieht, während sie eine neue chemischen Verbindung eingehen, oder wie sie auf Einflüsse von aussen wie elektromagnetische Felder oder Licht reagieren, benötigen sie „weiches“ Röntgenlicht mit einer grösseren Wellenlänge. Der Grund: Wegen seiner im Vergleich zum „harten“ Röntgenlicht geringeren Energie lassen sich damit jene Prozesse ins Visier nehmen, die sich in den äusseren Schalen der Atomhülle abspielen.

Diese Prozesse sind für Forschende von grossem Interesse, denn sie geben Auskunft darüber, wie Atome oder Moleküle miteinander interagieren. So verraten sie, was bei der Bildung von chemischen Verbindungen genau vor sich geht. Durch ihre Untersuchungen können die Forschenden also zum Beispiel besser verstehen, wie Katalysatoren funktionieren, die in der chemischen Industrie für zahlreiche Verfahren eingesetzt werden. Damit können sie dazu beitragen, diese Verfahren umweltfreundlicher und effizienter zu machen. Aber auch in die Funktionsweise grundsätzlicher Lebensprozesse bekommen die Forschenden mit dem Studium der Prozesse in den äusseren Schalen der Atomhülle tiefe Einblicke. Eine wichtige Rolle spielen sie zudem bei der Erforschung neuer Materialen, die elektronische Bauteile leistungsfähiger machen sollen – sind sie doch für wesentliche Eigenschaften wie deren elektrische Leitfähigkeit oder deren magnetisches Verhalten verantwortlich.

Zweite Strahllinie ab 2020

Bereits beim Bau des SwissFEL-Gebäudes wurde daher eine zweite Strahllinie mit eingeplant. Diese wird seit Anfang 2017 aufgebaut, während parallel dazu die erste Strahllinie mit „harter“ Röntgenstrahlung auf ihre ersten Experimente vorbereitet wird. Diese zweite Strahllinie wird das langwelligere, „weiche“ Röntgenlicht erzeugen und soll im Jahr 2020 ihren Betrieb aufnehmen. Ob das Röntgenlicht „hart“ oder „weich“ wird, entscheidet sich mit der Wahl der Energie, die die Elektronen im Linearbeschleuniger erreichen, und mit der Wahl der Undulatoren. Bei der ersten Strahllinie sind die Undulatoren technisch so ausgelegt, möglichst kurzwelliges Röntgenlicht zu erzeugen. Bei der zweiten Strahllinie kommt eine andere Undulator-Technologie zum Einsatz. Neben dessen Wellenlänge steht die Richtung, in die das erzeugte Röntgenlicht schwingt, im Vordergrund – also dessen Polarisation. Denn abhängig davon, mit welcher Schwingungsrichtung das Licht auf die Probe trifft, löst es in dieser unterschiedliche Reaktionen aus. So können die Forschenden – ähnlich wie bei einem Polarisationsfilter einer Kamera – jeweils unterschiedliche Aspekte der Proben untersuchen. Die gewünschte Polarisation kann von ihnen selbst eingestellt werden. Damit können sie ihre Forschungsfragen noch spezifischer lösen.

Die Kosten für die zweite Strahllinie betragen rund 44 Millionen Franken und werden zum Grossteil vom Bund getragen. Der Kanton Aargau beteiligt sich mit 4 Millionen Franken aus seinem Swisslos-Fonds an der Finanzierung. Der SwissFEL mit der ersten Strahllinie kostet rund 275 Millionen Franken. Hiervon steuert der Kanton Aargau 30 Millionen Franken bei.

Text: Paul Scherrer Institut/Martina Gröschl

Weiterführende Informationen

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Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Hans-Heinrich Braun
Projektleiter SwissFEL, Beschleuniger
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 32 41, E-Mail: hans.braun@psi.ch [Deutsch, Englisch]

Dr. Luc Patthey
Projektleiter SwissFEL, Photonik und Forschung
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 45 62, E-Mail: luc.patthey@psi.ch [Deutsch, Englisch, Französisch]