Eine Metalllegierung wie ein Schwamm

Wenn die Vakuumkammern die Werkstatt des PSI verlassen, sind sie noch nicht fertig für den Einbau in der zukünftigen SLS. Vor allem fehlt noch eine Oberflächen-Beschichtung, die die Vakuumpumpen unterstützen wird.

Romain Ganter steht neben der NEG-Anlage: Hier werden die Vakuumkammern senkrecht eingespannt und erhalten innen die entscheidende Beschichtung. Den aus drei Elementen bestehenden Draht, den es dafür braucht, hält Ganter in der Hand. © Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
Schaut man sehr genau hin, sieht man, dass es sich um drei verschiedene Materialien handelt: Ein Vanadium-, ein Titan- und ein Zirkoniumdraht sind umeinandergeschlungen. Diese Struktur ist der Ausgangspunkt für die NEG-Beschichtung der Vakuumkammern. © Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
Eine fertige Vakuumkammer: Die NEG-Beschichtung ist auf der Innenseite aufgetragen, doch durch das Plasma hat sie sich auch aussen dunkel verfärbt. Jetzt liegt sie auf einem langen Tisch bereit, um gemeinsam mit anderen Kammern zu einem 18 Meter langen Bogenstück zusammengesetzt zu werden. © Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
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  • Teil 1 der Geschichte der Vakuumkammern lesen Sie hier; Teil 2 finden Sie hier.

Um den Entstehungsweg der Kammern weiter zu verfolgen, muss man die Aare überqueren und auf dem West-Areal des PSI mit Romain Ganter eine grosse Halle betreten. Neben anderen Vorbereitungen für die SLS 2.0, die hier auf Hochtouren laufen – die zukünftigen Magnete werden hier vermessen – steht ein Aufbau, der auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, und doch Hightech auf die innenliegende Oberfläche der Kammern aufträgt: die NEG-Beschichtung.

NEG steht für «Non-evaporable getter coating», es handelt sich um eine besondere Metalllegierung, die Gas-Moleküle aufnimmt wie ein Schwamm das Wasser. Erst diese Entwicklung, die in den letzten Jahren aufkam und auch schon in anderen Synchrotrons neuester Generation verwendet wird, machte es möglich, Elektronenspeicherringe mit kleinerem Durchmesser zu realisieren. «Denn je schmaler eine Röhre ist, umso schwieriger ist es, sie mit Vakuumpumpen ganz leer zu bekommen», erklärt Ganter.

NEG-Beschichtung spart zwei Jahre Zeit

Schwieriger heisst: Es ist schon möglich, würde aber mehrere Jahre dauern. «Nur mit den Pumpen könnte die SLS nach dem Umbau also wahrscheinlich erst nach zwei Jahre den Nominalbetrieb erreichen, eventuell sogar noch später. Auf jeden Fall wäre es viel zu viel Zeit, in der keine Forschung stattfinden könnte.»

Die NEG-Beschichtung nimmt das auf, was die Pumpen nicht so schnell schaffen. «Damit werden wir voraussichtlich schon nach zwei Monaten das benötigte Vakuum erreichen.» Während des Betriebs soll ein Ultrahochvakuum von nur einem milliardstel Millibar herrschen. "Dank der Unterstützung durch die NEG-Experten des CERN konnten wir am PSI rasch ein Beschichtungsverfahren entwickeln."

Ganter deutet auf den unauffälligen Aufbau. Darin laufen drei leicht verschiedenfarbige Drähte umeinander gezwirbelt von oben nach unten. „Das ist je ein Vanadium-, ein Titan- und ein Zirkoniumdraht“, erklärt Ganter. Zusammen ergeben sie die NEG-Beschichtung. Um sie gleichmässig als Legierung aufzutragen, wird der Draht ins Innere der zukünftigen Vakuumkammern eingefädelt. Ausserdem wird etwas Krypton-Gas in die Kammer geleitet. Aussen um die Kammer kommt eine schmale Magnetspule, die lokal ein Plasma im Krypton zündet. «Wir fahren diese Spule einhundert Mal entlang der Kammer hoch und runter. Das Plasma schlägt dabei nach und nach die Atome aus den drei Metalldrähten heraus und sie lagern sich an der Innenfläche der Kammer ab.» Eine möglichst gleichmässige, ein halbes Tausendstel eines Millimeters dünne NEG-Schicht soll es am Ende sein.

«An dieser Maschine machen wir die NEG-Beschichtung der einhundert Kammern, die wir hier am PSI produzieren», erläutert Ganter. Die extern produzierten Kammern dagegen werden auch extern beschichtet. «So konnten wir uns auf Augenhöhe mit den produzierenden Firmen austauschen, wir konnten von ihnen lernen und sie von uns. Nun haben wir die Technologie sehr gut im Griff und auch dieses essenzielle Know-how ist am PSI gesichert», betont Ganter.

18 Meter lange Bogenstücke

Nach der NEG-Beschichtung werden die Kammern aneinandergesetzt: jeweils zu 18 Meter langen Bogenstücken. Das geschieht in einem Reinraum im Gebäude der SLS selbst, denn mit 18 Metern kommt man nicht mehr so gut durch Türen und Tore.

Auf einem langen Spezialtisch stehen Halterungen bereit, um die Kammern zu stützen. Nun wird nicht mehr gelötet, sondern mit Schraubverbindungen gearbeitet. Jetzt bestückt Ganters Team auch die Kühlkanäle und setzt die Temperatursensoren ein, die später im Betrieb essenzielles Feedback für die Instrumente liefern. Es sind mehrere Sensoren pro Kammer, insgesamt werden es 2000 Sensoren entlang des gesamten Elektronenspeicherrings sein.

Dann folgt der Vakuumtest. Ist dieser bestanden, wird der Bogen mit Stickstoff gefüllt und so bis zu seinem Einsatz gelagert. Die NEG-Beschichtung kann dann durch Aufheizen wieder aktiviert werden.

Wie die Bogenstücke schliesslich an ihren Einsatzort im Ring kommen werden, kann Ganter vorerst nur theoretisch erklären: «Die werden in einen Metallrahmen gespannt, der mit einem der Decken-Kräne der SLS angehoben wird. Der Rahmen muss alles gut stützen, um unsere 18 Meter lange Makkaroni sicher zu transportieren», schmunzelt Ganter.

Auf den Anblick, wenn es dann bald nach Beginn des Shutdowns im Herbst 2023 so weit sein wird, scheint er sich schon zu freuen.

Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

Kontakt

René Sieber
Fachbereich Grossforschungsanlagen, Leiter Sektion Produktionstechnik
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 54 19
rene.sieber@psi.ch 
[Deutsch]

Dr. Romain Ganter
Fachbereich Grossforschungsanlagen, Leiter Sektion Vakuum
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 52 79
romain.ganter@psi.ch
[Deutsch, Englisch, Französisch]

Weiterführende Informationen

SLS 2.0 - Das Upgrade der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS

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