Mehrwert für Krebskranke

Seit über dreissig Jahren kommen Krebskranke in den kleinen Ort Villigen an der Aare. Dort, am Paul Scherrer Institut PSI, erhalten sie direkt neben den grossen Forschungsanlagen eine Behandlung, die einzigartig ist in der Schweiz: Protonentherapie. Diese modernste Form einer Strahlentherapie gegen Krebs hat gegenüber herkömmlicher Bestrahlung grosse Vorteile in puncto Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Protonentherapie erlaubt den Ärzten, einen Tumor viel präziser als sonst und mit einer höheren und somit effektiveren Strahlendosis zu behandeln, ohne das umgebende gesunde Gewebe zu verletzen. Dadurch können sie sogar Tumore an schwer zugänglichen Stellen des Körpers oder in der Nähe von strahlenempfindlichen Organen zerstören. Am PSI gibt es für diese Spezialbehandlung ein eigenes Zentrum für Protonentherapie. Dessen Pionierarbeit hat nicht nur mehreren Tausend Patienten geholfen, sondern auch die Protonentherapie weltweit grundlegend verändert.

Der Beschleuniger COMET am PSI wurde für das Zentrum für Protonentherapie angeschafft und sorgt ganzjährig für einen kontinuierlichen Protonenstrahl. Mit diesem Strahl werden Krebspatienten behandelt. © Archiv des Paul Scherrer Instituts
Das Gerät Gantry 2 ermöglicht die Bestrahlung von Tumoren, die tief im Gehirn oder im Körperinneren liegen. Durch seine hohe Präzision können auch Tumoren in der Nähe besonders empfindlicher Strukturen behandelt werden, ohne das umgebende gesunde Gewebe zu verletzen. Während der Bestrahlung dreht sich die Gantry um den Patienten. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Am Behandlungsplatz OPTIS werden Patienten behandelt, die an Augentumoren leiden. Dank der Protonentherapie kann das erkrankte Auge in den meisten Fällen erhalten werden. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Im Kontrollraum werden auf mehreren Monitoren alle wichtigen Informationen von dem Bestrahlungsgerät Gantry 2 übertragen. Videokameras im Behandlungsraum übermitteln die aktuelle Position des Gerätes und beobachten den Patienten. So wird sichergestellt, dass die Protonentherapie genau entsprechend dem Behandlungsplan abläuft. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
In der freundlichen und hellen Umgebung im Empfangsraum des Zentrums für Protonentherapie bespricht Dr. Marc Walser (links) mit Daniela Buckenmeyer und Jolanda Dainese Meier die nächsten Behandlungstermine für einen Patienten. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
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Wer denkt, am Paul Scherrer Institut PSI dreht sich alles nur um Forschung, wird im Zentrum für Protonentherapie ZPT eines Besseren belehrt. Hier steht der Patient im Mittelpunkt. In dem modernen, hellen Gebäude direkt gegenüber der Synchrotron-Lichtquelle des PSI gibt es Arztzimmer, einen Wartebereich, Vorbereitungs- und Untersuchungsräume. Wie in einer radiologischen Klinik stehen auch hier medizinische Grossgeräte wie Computertomografen und Magnetresonanztomografen, mit denen Schnittbilder vom Körper des Patienten aufgenommen werden. Mit Hilfe dieser Bilder können Ärzte einen Tumor im Inneren des Patienten millimetergenau orten, um dann einen massgeschneiderten Behandlungsplan aufzustellen. Drei Behandlungsplätze stehen am ZPT für die Protonentherapie von Tumorpatienten zur Verfügung, ein weiterer kommt dieses Jahr hinzu. Da die Ergebnisse der Protonentherapie sehr vielversprechend sind, hat die Nachfrage nach dieser Art der Bestrahlung in den letzten Jahren sehr stark zugenommen, erklärt Damien Weber, Chefarzt und Leiter des ZPT. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Die Ausgangslage dafür ist gut, denn Protonentherapie hat am PSI eine lange Tradition. Schon seit den Achtzigerjahren werden hier Krebspatienten mit Protonen behandelt. Hinzu kommt, dass PSI-Forschende eine neue Technik der Protonenbestrahlung entwickelt haben, die noch wirksamer und schonender ist als frühere Formen der Protonentherapie.

Doch warum ausgerechnet Protonen? Weber erklärt: Protonen haben gegenüber der sonst üblichen Krebsbestrahlung mit Photonen mehrere Vorteile. Man kann genau steuern, bis zu welcher Tiefe sie in den Körper eindringen sollen. Dort entfalten sie ihre grösste Wirkung. Auf ihrem Weg bis dahin richten Protonen so gut wie keinen Schaden im Gewebe an und alles, was dahinter liegt, bleibt unversehrt.

Die grösste Patientenzahl auf der Welt

Im Alltag stecken Protonen überall: Als einen Grundbaustein der Atome findet man sie in jedem Element und in jedem Ding, das uns umgibt. Für ihre hohe Präsenz bekommen sie jedoch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Nur bei Physikern gehören die Elementarteilchen schon seit Jahrzehnten zu den Favoriten. So wurde am heutigen PSI vor über 40 Jahren eine Beschleunigeranlage aufgebaut, die Protonenstrahlen für Physik-Experimente erzeugt. Anfang der Achtzigerjahre wollten Forschende dann das Potenzial der Teilchen dort ausloten, wo herkömmliche Verfahren versagten: bei der Behandlung von Augentumoren. Mit dem Start des Behandlungsplatzes OPTIS 1 im Jahr 1984 wurde dann der Grundstein für die Protonentherapie in der Schweiz gelegt. Erstmals konnte man hier winzige Tumore am Augenhintergrund bestrahlen, ohne andere Strukturen des Auges zu gefährden. Und noch besser: Während die Patienten zuvor meistens ihr krankes Auge wegen der Krebsgeschwulst entfernen lassen mussten, konnte es fortan bei mehr als neunzig Prozent gerettet werden (wenn auch die Sehkraft des Auges nicht unbedingt wiederhergestellt werden kann). Schon 6700 Patienten mit Augentumoren wurden seit 1984 hier behandelt, so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Nach 26 Jahren im Einsatz wurde das alte OPTIS-1-Gerät durch eine neue Anlage ersetzt: OPTIS 2. Obwohl das Behandlungsprinzip bei der moderneren OPTIS-2-Anlage noch immer dasselbe ist, arbeitet das neue Gerät noch zuverlässiger und sicherer.

Vernichtung tief liegender Tumore

Protonentherapie am PSI hilft auch anderen Patienten mit Krebsleiden. Neben dem Behandlungsplatz OPTIS 2 gibt es noch zwei sogenannte Gantrys, also riesige, drehbar gelagerte Bestrahlungsgeräte, mit denen Tumore im Körperinneren bestrahlt werden. Die erste Gantry wurde vor zwanzig Jahren hier am PSI entwickelt. Damals, etwa ein Jahrzehnt nach dem Start von OPTIS 1, sorgten PSI-Forschende für eine kleine Revolution der Protonentherapie. Sie wollten mehr als einfach nur einen fächerförmigen Protonenstrahl auf einen Tumor richten. Ihr Ziel war es, einen Tumor in seiner ganzen Tiefe und oftmals irregulären Form zu erfassen und ihn gleichmässig mit einem filigranen Strahl so abzutasten, dass das gesamte Volumen getroffen wird. Das haben sie vor zwanzig Jahren mit der Entwicklung der Spot-Scanning-Technik erreicht: Am 25.11.1996 wurde der weltweit erste Patient mit dem neuen Verfahren am ZPT behandelt. Inzwischen gehört die Spot-Scanning-Technik zum weltweiten Standard und hat die früher übliche passive Streutechnik weitgehend abgelöst. Sogar Kinder bekommen diese Therapie am ZPT, denn sie vertragen nur eine schwache Strahlendosis, die erst durch die Spot-Scanning-Technik gewährleistet ist. Ihr wichtigstes Einsatzgebiet sind tief liegende Tumore und Geschwülste, die in der Nähe besonders empfindlicher Strukturen liegen. Hirntumore, Krebs im Hals-Nasen-Ohren-Bereich und Geschwülste in der Nähe des Rückenmarks sind die häufigsten Anwendungsgebiete. Gerade dort ist Präzision gefragt, die nur ein hinreichend dünner Protonenstrahl liefern kann – der am PSI hat eine Dicke von nur 5 bis 7 Millimetern.

Ein eigener stabiler Strahl

Seit 2007 werden die Protonenstrahlen für das ZPT von dem Beschleuniger COMET erzeugt, der speziell für die Protonentherapie aufgebaut wurde. Dieser hängt nicht mit der grossen Protonenbeschleunigeranlage des PSI zusammen, die Protonen für Experimente in Physik und Materialwissenschaften liefert. Dadurch wurde das ZPT unabhängig von den revisionsbedingten Unterbrechungen, die jedes Jahr an der grossen Protonenbeschleunigeranlage anfallen. Erst mit COMET haben Weber und sein Team einen kontinuierlichen Protonenstrahl bekommen, mit dem sie ihre Patienten das ganze Jahr über behandeln können. Dass die Anlage und die drei Behandlungsplätze reibungslos funktionieren, dafür sorgen Mitarbeitende des ZPT und der Grossforschungsanlagen des PSI gemeinsam. Wir brauchen hier sehr viele spezialisierte Fachleute, betont Weber. Allein am ZPT sorgen über 80 Mitarbeitende dafür, dass alle Patienten bestmöglich versorgt werden. Sowohl bei OPTIS als auch den beiden Gantrys geht nichts ohne eine sorgfältige Planung. Ärzte, medizintechnische Assistenten und Medizinphysiker kümmern sich darum, dass die Patienten jedes Mal genau die richtige Strahlendosis an der richtigen Stelle des Körpers erhalten und dass Organe und empfindliche Strukturen geschützt sind. Das Patientenbüro und eine Pflegefachfrau umsorgen die Kranken, stehen ihnen persönlich zur Seite und helfen ihnen bei medizinischen und organisatorischen Fragen. So klären sie ab, ob die Versicherung die Kosten übernimmt, wie der Patient transportiert wird und wo er untergebracht ist. Physiker, Ingenieure, Techniker und andere Spezialisten sorgen für die Funktionsfähigkeit der Anlagen und dass die Software und die Kontrollsysteme richtig laufen. Wann immer ein Patient eine Protonentherapie erhält, wird jedes Detail in einem sogenannten Logfile mitprotokolliert. Alle Abläufe sind standardisiert und unterliegen einem Qualitätsmanagementsystem. Hinzu kommt, dass für jeden Patienten Behandlungsdetails in einer Datenbank erfasst werden. Das erlaubt die spätere Analyse gleicher Tumorarten im Rahmen von Beobachtungsstudien. Anhand dieser Daten kann Weber auch sehen, wie gut die Protonentherapie langfristig wirkt. Der Arzt ist begeistert: Es ist eine schmerzlose, nichtinvasive Behandlung, die die Lebensqualität der Patienten aufrechterhält und es ihnen ermöglicht, die normalen Aktivitäten schnell wieder aufzunehmen.

Dass seine Einrichtung direkt in einer der grössten Forschungsanlagen der Schweiz liegt, ist für Weber kein Widerspruch: Das ZPT profitiert dadurch, dass es mit dem PSI zusammenhängt. Das PSI mit seiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Protonen bringt die Physik und die Medizinphysik voran. So haben wir einerseits immer die fortgeschrittenste Technik und arbeiten andererseits auch gemeinsam daran, die Protonentherapie weiterzuentwickeln und neue Einsatzgebiete zu erforschen. Hierbei arbeiten Weber und sein Team sehr eng mit Schweizer Spitälern und Hochschulen zusammen. Zudem beraten sie Zentren, die selbst neue Protonentherapieanlagen betreiben wollen. In internationalen Fortbildungsveranstaltungen bilden die PSI-Fachleute Spezialisten aus der ganzen Welt in den Bereichen Technologie, Physik, Medizin und Medizinphysik aus. Wir geben unser Wissen gerne weiter, betont der Arzt, denn die Patienten sollen schliesslich überall die modernste Behandlung erhalten.

Text: Sabine Goldhahn

Weiterführende Informationen
  • Wie am Zentrum für Protonentherapie des PSI Kinder, die Krebs haben, mit der Protonentherapie behandelt werden, beschreibt der Artikel Grosse Hilfe für kleine Kinder.
  • Eine besondere Form der Protonentherapie, die Spot-Scanning-Technik, wurde vor über zwanzig Jahren am PSI entwickelt. Diese Methode kommt heute weltweit zum Einsatz und hat schon mehreren Tausend Patienten geholfen. Details stehen im Artikel 20 Jahre hochpräzise Krebsbekämpfung.
  • Protonentherapie am PSI hat mit der Bestrahlung von Augentumoren begonnen. Bis heute hat das PSI allein 6700 Patienten behandelt. Mehr darüber berichtet der Artikel Lichtblicke für Patienten.
  • Für die Sicherheit und hohe Qualität der Protonentherapie am PSI sorgt ein ganzes Team an Spezialisten: Die Sicherheit im Griff.
Webseite des Zentrums für Protonentherapie am PSI: https://www.psi.ch/protontherapy/
Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. med. Damien Charles Weber
Leiter und Chefarzt des Zentrums für Protonentherapie,
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 58 28, E-Mail: damien.weber@psi.ch