Designernuklid für medizinische Anwendungen

Radioaktive Nuklide sind instabile Atome, die bei ihrem Zerfall Strahlung aussenden, um wieder stabil zu werden. Das machen sich Ärzte seit Jahren für die Untersuchung von Patienten zunutze. Sie spritzen das Radionuklid in die Blutbahn, sodass es seine Strahlung direkt aus dem Körperinneren abgeben kann. Diese Strahlung dringt durch die Haut nach aussen und wird dort von Spezialkameras erfasst. Da sich das Radionuklid gezielt an Krebszellen oder in Organen mit gestörtem Stoffwechsel anreichert, kann die Kamera diese anhand der Strahlung sehr genau orten. Wichtig sind dabei die physikalischen Eigenschaften des Radionuklids. Sie entscheiden über die Qualität und die Genauigkeit der aufgenommenen Bilder. Forschende am Paul Scherrer Institut PSI arbeiten mit verschiedenen Radionukliden, um diejenigen zu finden, welche am besten für die medizinische Anwendung geeignet sind. Einen heissen Kandidaten haben sie jetzt.

Der Radiochemiker Nick van der Meulen arbeitet mit Greifarmen an einer Heissen Zelle im Paul Scherrer Institut. Hinter 36 Zentimeter dickem Bleiglas befinden sich Proben des radioaktiven Nuklids Scandium-44. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Ein Blick ins Innere der Heissen Zelle. Hier wird das im Zyklotron produzierte Scandium-44 von allfälligen Verunreinigungen gereinigt und abgefüllt. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Der erste Schritt zur Entwicklung eines neuen Radionuklids für medizinische Zwecke fängt an der Karlsruher Nuklidkarte an. Sie enthält unter anderem Informationen zu den Zerfallsarten und Zerfallsenergien eines Radionuklids, zu seiner Massenzahl, aber auch seiner Halbwertszeit. Spezialisten wie Nick van der Meulen können darin lesen, welche Elemente für die Herstellung bestimmter Radionuklide am besten geeignet sind. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
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Mehr als 10 000 Kliniken weltweit verwenden radioaktive Nuklide in der Medizin, und über neunzig Prozent aller Eingriffe dienen der Diagnostik: zur Früherkennung und genaueren Lokalisation von Krebs oder zur Funktionsuntersuchung von Organen. Das am häufigsten eingesetzte Radionuklid ist dabei Technetium-99m, welches bei seinem Zerfall Gammastrahlen aussendet. Ärzte nehmen es für etwa 35 Millionen Untersuchungen pro Jahr. Doch es gibt moderne diagnostische Geräte, die anstelle von Gammastrahlen andere Strahlungsarten erfassen und somit andere Strahlenquellen benötigen. Dazu gehört der sogenannte PET-Scanner, eine Spezialkamera, die qualitativ hochwertige farbige Schnittbilder vom Körper anfertigt und sogar Untersuchungen erlaubt, bei denen man in Echtzeit verfolgen kann, wie Herz, Nieren oder Gehirn arbeiten. Doch für einen PET-Scanner braucht man eine ganz besondere Art von Radionukliden. Diese müssen bei ihrem Zerfall Positronen aussenden. Das sind Teilchen, die praktisch die gleichen Eigenschaften haben wie Elektronen, aber eine positive elektrische Ladung besitzen. Geeignete Radionuklide, die Positronen abgeben, sind selten, und für medizinische Untersuchungen am Patienten kommen bislang nur etwa zehn verschiedene zum Einsatz. Keines davon ist perfekt. Deshalb suchen PSI-Forschende mit Hilfe der institutseigenen Protonenbeschleunigeranlage nach neuen Radionukliden, die für Untersuchungen mit dem PET-Scanner geeignet sind.

Schwierige Suche

Doch wie findet man ein solches Radionuklid? Jedes hat seine eigenen typischen Zerfallseigenschaften: die Art der Strahlung, die Halbwertszeit und die Strahlungsenergie. Zunächst muss man wissen, welche Nuklide überhaupt Positronen aussenden, nur die kommen für eine PET-Untersuchung in Frage, erklärt PSI-Forscher Nick van der Meulen, der im Labor für Radiochemie sowie im Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaften arbeitet. Dafür muss man berechnen, welche Kernreaktion für ein Atom möglich ist und welchen Ausgangsstoff man braucht, um genau diese Kernreaktion zu erzielen. Dann ist entscheidend, ob das Nuklid, welches aus der Kernreaktion entsteht, noch weitere, zusätzliche Strahlungsarten abgibt. Gammastrahlen beispielsweise sind für PET-Untersuchungen nicht gewünscht: Sie haben für die Untersuchung keinen Nutzen, tragen aber zur Gesamtstrahlenbelastung des Patienten bei. Und die sollte für eine spätere Anwendung am Patienten möglichst niedrig sein.

Van der Meulen muss auch noch die Halbwertszeit berücksichtigen. Sie ist eine der wichtigsten Eigenschaften bei Radionukliden und gibt an, nach welcher Zeitspanne die Hälfte des Nuklids zerfallen ist. Wenn Radionuklide bei medizinischen Untersuchungen eine lange Halbwertszeit von Wochen oder Monaten haben, bekommt der Patient zu viel radioaktive Strahlung ab, berichtet der Forscher. Hingegen reicht bei einer zu kurzen Halbwertszeit im Minutenbereich die Zeit von der Herstellung bis zur Anwendung manchmal kaum aus. Das Radionuklid zerfällt, ehe es überhaupt zum Einsatz kommt. Am besten eignen sich daher Stoffe mit einer Halbwertszeit von wenigen Stunden.

Daneben müssen die Radionuklide auch den richtigen Energiebereich haben, damit später im PET-Scanner scharfe Bilder entstehen.

Vielversprechender Kandidat

In den letzten Jahren hat van der Meulen sieben verschiedene Radionuklide am PSI getestet. Eines davon, Scandium-44, hält er für besonders vielversprechend. Es hat mit vier Stunden eine relativ kurze Halbwertszeit und sendet die gewünschten Positronen aus. Hinzu kommt, dass es sich leicht an verschiedene Moleküle wie beispielsweise Peptide koppeln lässt. Diese Eigenschaft ist wichtig, wenn es später zur gezielten Suche nach Tumoren verwendet werden soll. Denn ein Radionuklid selbst ist nicht in der Lage, Krebszellen oder Organe im Körper zu finden. Das kann nur das Molekül, an welches das Radionuklid angehängt wird. Entweder ist dieses so spezifisch, dass es die Oberflächenstrukturen einer Zielzelle erkennt und daran gemäss Schlüssel-Schloss-Prinzip andocken kann, oder es ist Teil des natürlichen Stoffwechsels im Körper wie beispielsweise Glukose. Dann nimmt es denselben normalen Weg bis zur Ausscheidung wie körpereigene Stoffwechselprodukte. Währenddessen sendet es durch seine radioaktive Markierung Strahlung aus, die eine Spezialkamera wie der PET-Scanner registriert.

Der Weg in die Praxis

Scandium-44 hat nach Ansicht van der Meulens das Potenzial, in ein paar Jahren andere Radionuklide zu ersetzen. Durch seine Zerfallseigenschaften und insbesondere seine Halbwertszeit können auch nach vielen Stunden noch Aufnahmen mit dem PET-Scanner gemacht werden. Daneben erlaubt die Halbwertszeit auch den Transport des Radionuklids über eine Distanz von mehreren hundert Kilometern – ohne dass am Einsatzort in der Klinik schon alles zerfallen ist. Dadurch wird es später auch für Klinken verfügbar, die Radionuklide nicht vor Ort produzieren und diese von weiter entfernten Einrichtungen bestellen müssen.

Nun haben van der Meulen und seine Arbeitsgruppe gezeigt, wie man mit Hilfe eines Zyklotrons das Scandium in einer so hohen Menge und Konzentration herstellen kann, wie es für spätere medizinische Zwecke erforderlich ist. Denn andere Forschergruppen konnten das Radionuklid in einem Zyklotron bislang nur in schwächerer Aktivität produzieren oder es in einem Nuklidgenerator aus Titan-44 gewinnen. In einem Nuklidgenerator zerfällt ein Mutternuklid mit einer längeren Halbwertszeit in ein Tochternuklid mit einer kürzeren Halbwertszeit. Für die weitere Verwendung wird das Tochternuklid dann chemisch abgetrennt. Das Titan-44 selbst wird wiederum in einem Zyklotron hergestellt. Man braucht Wochen, um das Titan-44 für den Nuklidgenerator zu erzeugen. Was wir dagegen machen, ist simpel. Wir nehmen unser Ausgangsmaterial Kalzium-44, stellen es in den Strahl des Zyklotrons und beschiessen es neunzig Minuten lang mit Protonen, beschreibt der Chemiker sehr vereinfacht die hochkomplexe Angelegenheit. Denn vorher muss er genau berechnen, mit welcher Energie er das Kalzium beschiessen will, damit das Scandium am Ende die gewünschte Radioaktivität hat und nicht zu viele Reaktionsnebenprodukte entstehen. Diese müssen nämlich erst in mehreren Reinigungsschritten entfernt werden, weil Scandium-44 so rein wie möglich sein muss. Der Rest vom Kalzium wird wiederaufbereitet.

Bei dem ganzen Prozess ist ein Punkt für van der Meulen besonders wichtig: Das Zyklotron, das wir am PSI nutzen, ist stärker als andere Zyklotrons. Wenn wir mit unserer Arbeit etwas entwickeln wollen, das später den Patienten nützt, müssen wir jetzt schon alle Parameter so berechnen, dass sie auch in einem kleinen, kommerziell erhältlichen Zyklotron an einer Klinik funktionieren. Bislang ist er mit seiner Arbeitsgruppe auf einem guten Weg. In etwa fünf Jahren will er die Herstellung von Scandium-44 soweit perfektioniert haben, dass die Methode technisch reproduzierbar ist und von interessierten Firmen für den Markt weiterentwickelt werden kann.

Text: Sabine Goldhahn

Infokasten

Prinzip der Positronen-Emissions-Tomografie (PET)

Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) macht Strukturen und Vorgänge im menschlichen Organismus sichtbar. Für das Verfahren werden radioaktive Atome (Radionuklide) in den Körper eingebracht, die bei ihrem Zerfall Positronen aussenden. Positronen sind gewissermassen die Antimaterie-Pendants der Elektronen. Die beiden Teilchen stimmen in praktisch allen Eigenschaften überein – so haben sie etwa auch die gleiche Masse. Die Positronen haben aber zum Beispiel eine positive elektrische Ladung, während die Elektronen eine negative haben. Treffen ein Elektron und ein Positron aufeinander, vernichten sich die beiden Teilchen gegenseitig, wobei zwei hochenergetische Lichtteilchen entstehen, die in ungefähr entgegengesetzte Richtungen auseinanderfliegen. Diese beiden Lichtteilchen können mit speziellen Detektoren beobachtet werden, und aus ihrer Flugrichtung lässt sich bestimmen, wo Positron und Elektron aufeinandergetroffen sind.

Da es im Organismus sehr viele Elektronen gibt, geschieht dieser von Fachleuten Annihilation genannte Vorgang sehr bald, nachdem das Positron entstanden ist. Dadurch lässt sich die Position des Radionuklids im Körper gut rekonstruieren. Damit Positron und Elektron annihilieren können, dürfen sie aber nicht zu schnell sein. Hat das Positron bei seiner Entstehung eine hohe kinetische Energie und damit auch eine hohe Geschwindigkeit, muss es erstmal durch die Teilchen in seiner Umgebung abgebremst werden. Dabei bewegt es sich aber von seinem Entstehungsort weg, was zu einer Ortsunschärfe führt. Die kinetische Energie der freigesetzten Positronen unterscheidet sich bei den einzelnen Radionukliden.

Scandium-44 (44Sc) kann auf zwei Wegen künstlich hergestellt werden:

1. Aus Titan-44 im Nuklidgenerator. Der Atomkern von Titan-44 kann ein Elektron aus der Atomhülle einfangen und sich so in einen Kern von Scandium-44 umwandeln. Das Titan-44 kann mit Hilfe eines Protonenstrahls aus dem stabilen Scandium-45 erzeugt werden. Dabei fängt das Scandium-44 ein Proton ein und strahlt gleich zwei Neutronen aus. In Formeln lässt sich die Reaktion wie folgt darstellen: (45Sc(p,2n)44Ti->44Sc).
2. Im Zyklotron aus Kalzium-44. Dabei fängt der Kern des Kalzium-44 ein Proton ein und sendet ein Neutron aus. In Formeln: (44Ca(p,n)44Sc).

Weiterführende Informationen
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Nick van der Meulen, Leiter der Gruppe Radionuklidentwicklung, am Labor für Radiochemie sowie am Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaften des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zürich
Telefon: +41 56 310 50 87, E-Mail: nick.vandermeulen@psi.ch