Im Fokus der Protonen

In mehreren Laboratorien am Paul Scherrer Institut PSI arbeiten Forschende mit radioaktiven Substanzen, die später einmal bei der Diagnostik und Behandlung von Krebs oder Stoffwechselkrankheiten helfen sollen. Doch woher nimmt man Substanzen, die in nur wenigen Stunden zerfallen? Ein Transport von ausserhalb kommt nicht in Frage. Die Lösung liegt daher in den Forschungsanlagen des PSI selbst. Dort stellt man für den Forschungsbedarf radioaktive Nuklide auf Bestellung her, je nachdem, wann sie gebraucht werden. Damit das reibungslos funktioniert und am Ende auch die Radionuklide entstehen, die benötigt werden, steht ein Team von Technikern rund um die Uhr bereit.

Walter Hirzel (links), Leiter der Arbeitsgruppe Nuklide und Betrieb, und sein Mitarbeiter Alexander Sommerhalder im Labor auf dem Gelände PSI West. Hier werden die Substanzen vorbereitet, aus denen künstliche Radionuklide hergestellt werden. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Nur wenige Milligramm eines Ausgangsstoffes sind nötig, um durch Protonenbestrahlung ein künstliches Radionuklid zu erzeugen. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Ein Set von leeren Targetkapseln. In diese Aluminiumkapseln kommt der Ausgangsstoff, aus dem durch Bestrahlung mit Protonen das künstliche Radionuklid gewonnen wird. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Zur Vorbereitung für die Bestrahlung wird der Ausgangsstoff mit einer Kraft von 2 Tonnen zu einer Tablette gepresst und anschliessend in die Targetkapsel eingebettet. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Jede Kapsel, die den zur Tablette gepressten Ausgangsstoff für eine Bestrahlung enthält, ist mit einem Deckel verschlossen. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
In einer Heisszelle werden alle Arbeitsschritte hinter dickem Bleiglas über Greifarme von aussen manuell gesteuert. Das ist nötig, weil dort mit radioaktivem Material gearbeitet wird. Hier entnimmt der rechte Greifer das Target – das nach der Bestrahlung die gewünschten Radionuklide enthält – aus dem Targethalter, um sie später zu öffnen. Die Vorrichtung rechts unten dient zur Fixierung der Kapsel während der Bestrahlung. Sie wurde am PSI selbst entwickelt. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
Der Techniker Alexander Sommerhalder vor einer Heisszelle. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)
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An anderen Orten als im radiochemischen Labor des PSI West würde man das knapp fünf Millimeter breite, weissgraue Pulverhäufchen einfach wegwischen und sich fragen, wie die paar Kreidekrümel auf das münzengrosse Aluminiumplättchen gelangt sind. Doch hier, am Arbeitsplatz der Betriebsgruppe von Walter Hirzel, ist das unscheinbare Pülverchen alles andere als wertlos: Aus ihm entstehen durch Protonenbestrahlung künstliche Radionuklide, das sind Substanzen, deren Atomkerne instabil sind und deshalb zerfallen. Beim Zerfall setzen sie Energie in Form von ionisierender Strahlung frei. Die Radionuklide verwenden die Forschenden am Zentrum für Radiopharmazeutische Wissenschaften (ZRW) für ihre Experimente. Sie sollen so weit entwickelt werden, dass man sie später einmal in Medikamenten gegen verschiedene Krebsarten einsetzen kann. Denn wenn man so ein Medikament mit Radionuklid dem Patienten spritzt, gelangt es durch den Blutkreislauf direkt an einen Tumor, den das Radionuklid durch seine Strahlung vernichtet.

Ehe so ein Radionuklid gebrauchsfertig ist, dauert es mehrere Stunden, bis es mit den eigens dafür gebauten Anlagen aufgearbeitet ist. Der gelernte Maschineningenieur Hirzel, der am PSI die Arbeitsgruppe Nuklide und Betrieb leitet, sorgt gemeinsam mit seinem Team dafür, dass die Radionuklide wie bestellt für die Experimente der verschiedenen Forschergruppen produziert werden. Dabei geht nichts ohne einen stabilen, energiereichen Protonenstrahl. Dieser wird in der Protonenbeschleunigeranlage des PSI erzeugt, wo Protonen auf etwa ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Von diesem Strahl wird ein kleiner Teil für die Nuklidproduktion abgezweigt. Das geschieht durch verschiedene Anlagenteile wie zum Beispiel Magnete, die den Strahl lenken und bis auf einen Durchmesser von sechs bis acht Millimeter bündeln. Der Hauptstrahl hingegen wird noch weiterbeschleunigt und für andere Experimente genutzt.

Über viele Meter punktgenau getroffen

Von seinem Ursprung bis zu unserer Bestrahlungsstation legt der Protonenstrahl rund 33 Meter zurück und trifft sein Ziel genau in der Mitte, erklärt Hirzel und meint: Manchmal denke ich, dass es schon an ein Wunder grenzt, dass wir so eine kleine Fläche treffen. Die kleine Fläche, das ist der Deckel einer Aluminiumkapsel, die etwa so gross ist wie ein Daumennagel. Sie enthält das wertvolle weissgraue Pulver, aus dem das Radionuklid hergestellt wird. Fachleute sprechen von Target und meinen damit die Kapsel mit Inhalt, die in einem speziellen Halter abgeschirmt von aussen in einer Targetstation in Hirzels Labor klemmt. Die Kapsel ist die Zielscheibe des Protonenstrahls und seine Endstation. Auf sie trifft der Strahl einige Stunden lang mit hoher Energie, wobei sich das Target im Inneren sehr stark erhitzt. Deshalb wird die Kapsel durch Kühlwasser umspült und muss absolut dicht sein. Ein Tropfen Wasser in ihrem Inneren würde reichen, um Wasserdampf zu erzeugen und das Target platzen zu lassen. Man könnte es nicht mehr verwenden, sodass die ganze Bestrahlung umsonst gewesen wäre. Damit das nicht passiert, verpresst Hirzels Mitarbeiter Alexander Sommerhalder jede Kapsel mit ihrem wertvollen Inhalt unter einem Druck von zwei Tonnen. Das hält!

Am Anfang der Radionuklidproduktion, wenn Sommerhalder die Kapsel verpresst, braucht er nicht hinter speziellen Abschirmungen zu arbeiten, denn das Ausgangsmaterial ist noch nicht radioaktiv. Anders ist es am Ende des ganzen Prozesses, wenn die Bestrahlung abgeschlossen ist: Dann darf er weder die Kapsel noch ihren radioaktiven Inhalt direkt berühren, jeder weitere Arbeitsschritt erfolgt abgeschirmt hinter Bleiwänden und sechzig Zentimeter dicken Glasscheiben in einer sogenannten Heisszelle.

Grosse Greifer mit Fingerspitzengefühl

Nachdem die Kapsel mit einem automatischen Transportsystem aus der Targetstation gefahren kommt, landet sie in der ersten Arbeitskammer der heissen Zelle. Rein äusserlich sieht sie auch nach dem Protonenbeschuss unverändert aus, einzig ein kleiner kreisrunder Brandfleck in der Mitte ihres Deckels lässt erahnen, welche Energie dort aufgeprallt ist. Diesen Deckel muss Sommerhalder jetzt abheben, um das radioaktive Pulver herauszuholen. Das geht nur mit Hilfe von ein Meter grossen Greifarmen, die jedem Filmroboter Ehre machen würden. Die klobigen Greifer befinden sich im Inneren der heissen Zelle, also im radioaktiven Bereich und werden von aussen mittels zangenähnlichen Handgriffen gesteuert. Das erfordert einige Übung und Koordination, sagt Sommerhalder und hantiert mühelos mit den Griffen hin und her, bis er den Deckel der Targetkapsel geöffnet hat. Doch jetzt kommt für die metallenen Greifzangen die Feinarbeit, bei der das weissgraue Pulver aus der Aluminiumkapsel in eine kleine Glasflasche umgefüllt wird. Dazu muss man mit einem Greifarm die kleine Kapsel packen und den pulvrigen Inhalt durch einen Trichter in das Fläschchen kippen. Wer hier danebenzielt, vergeudet wertvolles Radionuklid. Das ist alles Erfahrungssache, meint Sommerhalder und dreht den Deckel gekonnt mit den Greifarmen auf das Fläschchen.

Stunde der Wahrheit

Jetzt kommt der Moment, der Hirzel und seine Leute am meisten interessiert: eine erste Messung der Radioaktivität an der Probe. Hat die Bestrahlung richtig funktioniert? Ist die Reaktion so abgelaufen, wie sie es haben wollten? Solche und andere Fragen stellen sich die Spezialisten, denn: Die Radiochemiker sagen uns, welches Radionuklid sie benötigen, welcher Ausgangsstoff dafür gebraucht wird und wie wir bestrahlen müssen, erklärt Hirzel. Doch das heisst nicht, dass alles so abläuft wie theoretisch vorhergesagt. Manchmal ist die Radioaktivität schwächer als erwartet oder es entstehen zu viele Reaktionsnebenprodukte. Deshalb folgen nach der ersten Messung noch mehrere Schritte, um aus dem radioaktiven Pulver ein sauberes Radionuklid zu bekommen, das frei von Verunreinigungen ist. Die chemische Auftrennung liegt als nächstes an. Dazu muss das Glasgefäss mit der radioaktiven Substanz erst einmal von der einen in die nächste Kammer der heissen Zelle gegeben werden, wo eine komplizierte Apparatur mit vielen Schläuchen, Pumpen, Messfühlern und Ventilen steht. Für jedes neue Radionuklid muss Hirzel mit seinem Team eine neue Apparatur entwerfen und zusammenbauen, jede ist ein Unikat. In ihr wird das feste radioaktive Material mit Säure verflüssigt, und die Nebenprodukte werden herausgefiltert – so lange, bis das gewünschte Radionuklid in absolut reiner Form vorliegt. Hirzel: Auch wenn wir vielleicht mit zehn bis zwanzig Milligramm Ausgangsmaterial gestartet sind, haben wir am Ende manchmal nur noch einen Bruchteil davon – extrem wenig also, und doch ausreichend für die wissenschaftlichen Experimente.

Ideale Aufgabenvielfalt für einen Generalisten

Schon seit 13 Jahren ist Hirzel am ZRW der Mann für alle Fälle: Wenn ein Gerät defekt ist, eine Targetkapsel gebraucht wird, eine chemische Trennungsanlage gebaut werden muss oder wenn es um die Wiederverwertung oder Entsorgung von radioaktiven Abfällen geht. Ich bin damals durch ein Zeitungsinserat hergekommen, erinnert sich der Ingenieur. Man suchte seinerzeit einen Betriebsleiter für die Nuklidherstellung, und Hirzel war neugierig geworden. Die Vielfalt meiner Aufgaben hier war etwas völlig Neues. Wenn ich alles aufschreiben müsste, was man für diese Stelle können muss, käme eine lange Liste zusammen. Man muss ein bisschen ein Generalist sein, gerne praktisch arbeiten und Ideen haben. Mir gefällt diese Vielseitigkeit.

Die Forschenden selbst schätzen die Arbeit von Hirzel und seinem Team. Denn ohne funktionierende Infrastruktur bekommen sie nicht die Radionuklide, die sie brauchen. Der Ingenieur hingegen urteilt über den Anteil seiner Gruppe am Erfolg des ZRW eher bescheiden: Es motiviert mich, wenn wir einen Beitrag leisten können und sagen können, wir haben gemeinsam einen Meilenstein in der Forschung erreicht. Unser Ziel ist, dass es läuft. Damit andere weiterarbeiten können.

Text: Sabine Goldhahn

Protonenstrahl

Ein Protonenstrahl kommt nicht von irgendwo. An der Protonenbeschleunigeranlage am PSI werden mit einem Cockcroft-Walton-Beschleuniger Protonen aus einer Ionenquelle – sogenanntem Wasserstoffplasma – gewonnen und zunächst vorbeschleunigt. Dann wird der Protonenstrahl auf eine Energie von 0,87 Megaelektronenvolt (MeV) weiter beschleunigt und unter Vakuum in einem Rohr zum Ringzyklotron geführt, wo die Energie auf 72 MeV erhöht wird. Dadurch erreicht der Strahl bereits eine Geschwindigkeit von etwa 110‘000 km/s – also etwa ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit. Rund 2 Prozent dieses Strahls werden für die Erzeugung der Radionuklide abgezweigt. Für den Rest geht es noch weiter: Im nächsten Schritt werden die Protonen im grossen Ringzyklotron so lang weiter beschleunigt, bis sie eine Endgeschwindigkeit von 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Ihre Energie entspricht dann 590 MeV. Mit diesen Protonen werden Neutronen und Myonen erzeugt, die für eine Vielzahl von Experimenten genutzt werden.
Weiterführende Informationen
Kontakt/Ansprechpartner
Walter Hirzel, Leiter der Gruppe Infrastruktur am Zentrum für radiopharmazeutische Wissenschaften des Paul Scherrer Instituts PSI, der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zürich
Telefon: +41 56 310 43 13, E-Mail: walter.hirzel@psi.ch