Grenzen austesten zum Wohle der Patienten

Strahlentherapie mit Protonen ist ein Erfolgsmodell am Paul Scherrer Institut PSI. Schon seit mehreren Jahrzehnten behandeln Ärzte hier auf schonende Weise Patienten mit Augentumoren oder mit Krebs, der tief im Inneren des Körpers liegt. Dafür haben die Forschenden am Zentrum für Protonentherapie ZPT zahlreiche Geräte, Sicherheitssysteme und Software aufwendig selbst entwickelt. Mit einer eigenen, am PSI erarbeiteten Bestrahlungsmethode haben sie sogar weltweit die Protonentherapie nachhaltig verändert. Trotz dieser Erfolge verfeinern die Forschenden am ZPT diese Strahlentherapie unermüdlich weiter – damit die Behandlung künftig noch präziser und schneller wird.

Medizinphysiker untersuchen an dem Phantom Luca, wie man bewegte Tumore am besten mit Protonen bestrahlen kann. Luca ist einem menschlichen Torso nachempfunden, bei dem mittels einer Pumpe Atembewegungen simuliert werden. Sein Innenleben steckt voller Messgeräte, und auf seiner Oberfläche kleben Markierungen. Diese werden während einer Bestrahlung mit einer Videokamera überwacht, um die Atembewegungen des Phantoms zu erfassen. © Paul Scherrer Institut/ Mahir Dzambegovic
Seit 20 Jahren werden an Krebs erkrankte Patienten am PSI erfolgreich mit Protonentherapie mit dem Spot-Scanning-Verfahren behandelt. Dabei wird der Tumor Punkt für Punkt mit Protonen bestrahlt. Zwischen jeder einzelnen Punktbestrahlung muss der Protonenstrahl für kurze Zeit ausgeschaltet werden. Forschende am Zentrum für Protonentherapie wollen jetzt eine schnellere Behandlung erreichen, indem sie die Anzahl dieser Bestrahlungspausen reduzieren. Im Line Scanning ist genau das realisiert: Der Protonenstrahl wird entlang gerader Linien kontinuierlich durch den Tumor gesteuert. Die Zielgenauigkeit der Behandlung und die verabreichte Dosis sind dabei identisch. (Grafik: Paul Scherrer Institut/Grischa Klimpki)
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Antony Lomax wollte nur zwei Jahre bleiben, intensiv forschen und dann wieder gehen. Zurück nach Manchester, in seine Heimat. Doch Protonen üben eine ganz eigene Faszination aus. Besonders auf Medizinphysiker wie ihn: Ein Proton ist etwa 1800-mal schwerer als ein Elektron, das ist so, als ob man ein Fahrrad mit einem Panzer vergleicht. Und diese schweren Teilchen müssen wir für die Protonenbestrahlung beschleunigen und millimetergenau in ihr Ziel bringen. Protonen sind eine Herausforderung für Forscher. Genau wie Patienten. Jeder Patient und jeder Tumor ist unterschiedlich, und so gibt es keine einzige Standardbehandlung für alle. Gerade das macht meinen Beruf so interessant, schwärmt Lomax. Deshalb arbeitet der Forscher noch immer am Zentrum für Protonentherapie ZPT am Paul Scherrer Institut PSI. Seit nunmehr 25 Jahren.

Dabei könnten sich Wissenschaftler wie Lomax zurücklehnen. Sie könnten durchatmen und stolz sein auf das, was sie in vielen Jahren Entwicklungsarbeit geschaffen haben. Drei Behandlungsplätze stehen am ZPT für Krebspatienten zur Verfügung. Ein vierter wird gerade fertiggestellt. Die sogenannte Spot-Scanning-Methode – ein besonders genaues und schonendes Verfahren der Bestrahlung – wurde vor zwanzig Jahren hier am PSI entwickelt. Heute nutzen sie Ärzte weltweit zur Behandlung von Krebs. Eine eigens am PSI entwickelte Software erleichtert die genaue Planung und Durchführung jeder einzelnen Bestrahlung. Hinzu kommen umfassende Sicherheitssysteme und Qualitätskontrollen, die einen reibungslosen Ablauf und höchste Sicherheitsstandards garantieren. So wurden bereits 8000 Patienten erfolgreich behandelt. Genügend Gründe also, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben?

Keine Zeit zum Ausruhen

Der Medizinphysiker Lomax sieht auch nach einem Vierteljahrhundert am PSI keinen Grund, sich zurückzulehnen: Die Erfolge mit unserer Protonentherapie sind enorm. Doch die Tücke liegt im Detail, und genau da setzen wir mit unserer aktuellen Forschung an. Wir wollen die Protonentherapie schneller und noch sicherer machen und auch Tumore behandeln, die sich bewegen.

Im Körper gibt es Organe, die ständig in Bewegung sind. Die Lunge gehört genauso dazu wie die Leber. Für die Bestrahlung mit Protonen stellen Tumore in diesen Organen eine besondere Herausforderung dar, weil das Risiko besteht, dass neben dem Tumor zu viel gesundes Gewebe von den Strahlen getroffen wird. Denn bei jedem Atemzug oder jeder anderen Bewegung kann der Tumor dem Fokus des Protonenstrahls entgleiten. Das erschwert die genaue Planung.

Normalerweise planen die Medizinphysiker eine Bestrahlung von Tumoren im Körperinneren so, dass der Tumor von dem Protonenstrahl schichtweise Punkt für Punkt abgerastert wird – bis er an jeder Stelle mit einer vorher berechneten Strahlendosis getroffen wurde. Dafür haben sie den Tumor zuvor mit einem Computertomografen und einem Magnetresonanztomografen abgebildet und seine Konturen auf mehreren Dutzenden millimeterdünnen Schnittbildern eingezeichnet. Basierend auf diesen Schnittbildern legen sie die Bestrahlungsparameter fest: Aus welchen Richtungen muss der Strahl auftreffen, und wie lange und mit welcher Dosis wird jeder einzelne Bereich in der Geschwulst bestrahlt. Doch wenn der Patient atmet, verschieben sich die für die Bestrahlung festgelegten Bereiche um wenige Millimeter. Infolgedessen stimmt der berechnete Bestrahlungsplan nicht mehr absolut genau, und es wird womöglich gesundes Gewebe getroffen. Dies wollen Lomax und sein Team mit verschiedenen neuen Bestrahlungstechniken verhindern.

Eine davon ist das sogenannte Rescanning. Hierbei werden vom Protonenstrahl alle Punkte im Tumor mehrfach abgerastert. Anders als bei der bisherigen Methode wird die vorher berechnete Strahlendosis jedoch nicht auf einmal abgegeben, sondern mehrfach in kleineren Dosen. Die genaue Teildosis hängt davon ab, wie oft der Protonenstrahl über eine Stelle fährt. So wird beispielsweise jeder Punkt fünf Mal mit zwanzig Prozent der Dosis anstelle mit der Gesamtdosis bestrahlt. Durch diesen Ansatz sinkt das Risiko, dass eine Stelle im Tumor zu häufig oder gar nicht getroffen wird. Die Bestrahlung insgesamt wird gleichmässiger.

Einatmen, Luftanhalten, Protonenstrahl an

Ein anderer Weg, bewegte Tumoren zu bestrahlen, ist die sogenannte breathhold-Technik. Hierbei muss ein Patient die Luft für mehrere Sekunden anhalten, während ein Bereich des Tumors bestrahlt wird. Aber nicht jeder Patient hält das zwanzig Sekunden oder länger durch. Nur fünf bis zehn Sekunden sind nach Ansicht des Medizinphysikers zumutbar. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Beim Luftanhalten atmen Menschen nicht immer gleichermassen tief ein. Somit verschiebt sich der Tumor womöglich doch. Bei einer anderen Technik, dem gating, erfassen die Wissenschaftler daher die Ein- und Ausatembewegungen des Brustkorbs mittels zweier Videokameras und übertragen sie auf ihren Computer. Das ergibt dann eine patientenspezifische Kurve ähnlich einer Sinuskurve. Durch diese legen die Forschenden eine waagerechte Linie. Am Ende der Ausatemphase und zu Beginn des Einatmens ist die Bewegung des Brustkorbs weniger stark und liegt unterhalb dieser Linie. Dann bestrahlen die Wissenschaftler. Weil ein Mensch in der Regel länger ausatmet, beginnen sie mit der Bestrahlung bereits in der zweiten Hälfte der Ausatemphase und führen diese dann bis zum Anfang des Einatmens fort.

Schneller als ein Atemzug

Unabhängig, welche Technik am Ende zum Einsatz kommt: Wegen der relativ kurzen Atemphasen bleibt den Forschenden nur sehr wenig Zeit, um einen bewegten Tumor zu bestrahlen. Dabei gäbe es zumindest eine Lösung, die helfen könnte: Man müsste schneller bestrahlen. So könnte mehr Tumorgewebe in kürzerer Zeit getroffen werden. Doch wie lässt sich das erreichen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für eine schnellere Bestrahlung, sagt Lomax. So können wir die Intensität des Strahls steigern, also die Anzahl an Protonenteilchen, mit der wir bestrahlen. Dadurch würden wir die Schnelligkeit der Bestrahlung um den Faktor zwei erhöhen. Mit dem leistungsstarken Beschleuniger am PSI wäre das kein Problem. Doch bei der Protonentherapie reicht es nicht einfach aus, nur einen Protonenstrahl auf den Tumor zu richten. Auch die Sicherheitssysteme müssen angepasst werden. Diese messen millisekundenschnell während jeder einzelnen Bestrahlung, ob die Dosis stimmt und das richtige Feld bestrahlt wird. Ist das nicht der Fall, stoppen sie den Strahl automatisch. Wenn die Forscher mit einer höheren Intensität bestrahlen möchten, müssten diese Systeme umgebaut und vom Bundesamt für Gesundheit freigegeben werden. Dasselbe gilt für eine weitere Option, die Bestrahlungszeit zu verkürzen: das Line Scanning.

Linien malen statt Punkte

Line Scanning könnte laut Lomax die am PSI entwickelte Spot-Scanning-Technik ersetzen und die Schnelligkeit der Bestrahlung nochmals um den Faktor zwei erhöhen. Aber wie soll das gehen? Bei der Spot-Scanning-Technik rastert der bleistiftdünne Protonenstrahl den Tumor Punkt für Punkt ab, so als ob jemand mit einem Stift das ganze Volumen des Tumors mit Tausenden von Punkten ausfüllen will. Nach jedem Punkt wird der Strahl kurz abgeschaltet und muss dann zum nächsten Punkt bewegt und wieder angeschaltet werden. Die Zeit dazwischen ist verloren. Die Physiker am ZPT wollen das ändern und den Tumor statt mit Punkten mit kontinuierlichen Linien ausfüllen. Der Protonenstrahl müsste dann nicht mehr zwischendurch stoppen, sondern würde durch das Volumen des Tumors gleiten wie ein Stift, mit dem man einen Strich zeichnet. Wenn wir die Schnelligkeit der Bestrahlung erhöhen, müsste ein Patient weniger lang im Bestrahlungsgerät liegen, und es könnten mehr Patienten behandelt werden, erklärt Lomax.

Neben der Schnelligkeit haben die Forschenden am ZPT noch eine Vielzahl anderer spannender Projekte, mit der sie die Protonentherapie verbessern wollen. Unsere Techniken sind jetzt schon millimetergenau, sagt Lomax begeistert, doch man kann die Präzision und Effizienz unserer Methoden immer noch etwas steigern. Daran arbeiten wir.

Text: Sabine Goldhahn

Weiterführende Informationen
  • Wie am Zentrum für Protonentherapie des PSI Kinder, die Krebs haben, mit der Protonentherapie behandelt werden, beschreibt der Artikel Grosse Hilfe für kleine Kinder.
  • Einen Überblick über die Arbeit des Zentrums für Protonentherapie (ZPT) und die Entwicklung der Protonentherapie am PSI gibt der Artikel Mehrwert für Krebskranke.
  • Eine besondere Form der Protonentherapie, die Spot-Scanning-Technik, wurde vor über zwanzig Jahren am PSI entwickelt. Diese Methode kommt heute weltweit zum Einsatz und hat schon mehreren Tausend Patienten geholfen. Details stehen im Artikel 20 Jahre hochpräzise Krebsbekämpfung.
  • Protonentherapie am PSI hat mit der Bestrahlung von Augentumoren begonnen. Bis heute hat das PSI allein 6700 Patienten behandelt. Mehr darüber berichtet der Artikel Lichtblicke für Patienten.
  • Für die Sicherheit und hohe Qualität der Protonentherapie am PSI sorgt ein ganzes Team an Spezialisten: Die Sicherheit im Griff.
Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. Antony John Lomax
Leiter Medizinphysik am Zentrum für Protonentherapie
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 55 80, E-Mail: tony.lomax@psi.ch

Dr. Ulrike Kliebsch
Verantwortliche für Wissenschaft und Information am Zentrum für Protonentherapie
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 55 82, E-Mail: ulrike.kliebsch@psi.ch