Den Tumor aushungern

Vierzig Jahre Forschung am Zellwachstum

Der PSI-Forscher Kurt Ballmer-Hofer beschäftigt sich mit der Frage, wie man Tumoren „aushungern“ könnte, indem man sie daran hindert, Blutgefässe zu entwickeln. Nach 40 Jahren Forschung, die viele grundsätzliche Erkenntnisse über die Bildung von Blutgefässen gebracht hat, ist das entscheidende Molekül inzwischen gefunden worden; weitere Forschung soll nun weitere klinische Anwendungen möglich machen. Diese wird Ballmer-Hofer dann aus der Perspektive des Pensionärs weiterverfolgen.

Kurt Ballmer-Hofer erforscht die molekularen Mechanismen, die die Bildung neuer Blutgefässe anregen. Mit dem Wissen sollen Mittel entwickelt werden, die Tumore von der Blutversorgung abschneiden und so gewissermassen aushungern. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)
Drei Bilder des gleichen Proteinmoleküls (VEGF), die über einen Zeitraum von acht Jahren mit unterschiedlichen Untersuchungsverfahren erzeugt wurden. Die Forschenden konnten über die Jahre die Proteine in immer besserer Qualität herstellen und dadurch immer ausgefeiltere Untersuchungsverfahren einsetzen, die jeweils detailliertere Bilder des Moleküls erzeugen. Das Bild links wurde 2008 mit einem Elektronenmikroskop erzeugt, die beiden anderen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS – zunächst mit Kleinwinkelstreuung, dann mit Proteinkristallografie. (Abbildung: Paul Scherrer Institut/Kurt Ballmer-Hofer)
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Vierzig Jahre lang hat Kurt Ballmer-Hofer sich in die Frage hineingearbeitet, wie Zellen wachsen. Eine wichtige Basis der Krebsforschung, denn bei Krebserkrankungen wachsen unerwünschte Zellen unkontrollierbar. Mitte der Siebzigerjahre, als ich in die Forschung eintrat, begann man gerade erst grundsätzliche Dinge über Vorgänge in den Zellen zu verstehen. Beispielsweise, wie ein Virus Zellen dazu bringt, zu wachsen und gleichzeitig neue Viren zu produzieren erinnert sich der Chemiker, der heute Gruppenleiter am Labor für Biomolekulare Forschung am Paul Scherrer Institut ist. Genauso unklar war, warum Krebszellen zu wuchern beginnen. Normalerweise stoppen Zellen ihr Wachstum nach jeder Zellteilung bis sie über Botenstoffe wieder zu Wachstum und Teilung aufgefordert werden. Aber Krebszellen können dieses Stoppsignal abstellen. Nur wie?

Krebs aushungern

Als Ballmer-Hofer 1997 ans PSI kam hatte er den Auftrag, sich auf den Botenstoff VEGF (s. Kasten) zu konzentrieren. Man hatte beobachtet, dass Tumore die Bildung von VEGF auslösen. Der VEGF regt dann wiederum die Bildung neuer Blutgefässe an, die der Tumor zu seiner Ernährung benötigt . Seit über dreissig Jahren kursiert deshalb die Idee, die Bildung von Blutgefässen im Tumor zu blockieren, um ihn „auszuhungern“. 25 betreute Doktoranden, zehn Postdoktoranden und zwanzig eigene PSI-Forscherjahre später weiss Ballmer-Hofer so viel über Gestalt und Funktionsweise von VEGF, dass neue Möglichkeiten einer Behandlung greifbar sind. Ziel ist, die Bindung des VEGF an den Rezeptor der Zelle oder dessen Funktion zu blockieren.

Die Herstellung von VEGF ist delikat. Viele Forschungsgruppen haben sich daran die Zähne ausgebissen. Auch einer der Doktoranden eines Kollegen am PSI probierte viele Methoden erfolglos durch. Schliesslich fiel ihm eine Vorlesung über Pichia pastoris wieder ein, eine Hefe, die auf verrottendem Holz gedeiht. Volltreffer. Innerhalb weniger Wochen konnte er VEGF in grossen Mengen in Hefe herstellen. Der Ertrag wurde in einem speziell umgebauten Fermenter weiter optimiert. Dieser Fermenter sei heute das am besten amortisierte Gerät in seinem Labor, bemerkt Ballmer-Hofer. Seine Gruppe konnte dank ihrem Knowhow diverse Forschungsgruppen mit VEGF versorgen und so interessante wissenschaftliche Kollaborationen eingehen.

Nun konnte man daran gehen, die Struktur des VEGF-Moleküls und dessen Rezeptoren zu entschlüsseln. Biochemisch betrachtet ist VEGF ein Protein. Proteine ähneln einer zusammengeknüllten Perlenkette. Sie bestehen aus einer Aneinanderreihung verschiedener Aminosäuren. Diese Aminosäuren – die Perlen – stossen sich teilweise gegenseitig ab während sich andere anziehen. So kann die Kette nur eine genau definierte gefaltete Form annehmen. Und nur wenn die Faltung stimmt, kann das VEGF an den Rezeptor der Zelle binden und den Befehl zur Bildung neuer Blutgefässe übermitteln. Kennt man die nötige Form der beteiligten Moleküle, kann man Gegenmittel entwickeln, die die Funktion des Rezeptors blockieren.

Anfangs ging das mühsam voran. Durch biochemische und mikroskopische Analysen bestimmte man wie einzelne Aminosäuren des Rezeptors dessen Verhalten beeinflussen und studierte, wie Zellen auf VEGF reagieren.

Mittlerweile war am PSI die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS errichtet worden. Die SLS ist eine Art riesiges Mikroskop, in dem mittels Röntgenlicht winzigste Strukturen abgebildet werden können, so auch VEGF und dessen Rezeptoren. Das dreidimensionale Bild solcher Strukturen entsteht aber nur, wenn es gelingt, unzählige Moleküle zu kristallisieren, sie also starr in einem regelmässigen Kristallgitter einzubetten. Dies gelang im Falle des VEGF lange Zeit nicht. Man behalf sich deshalb mit einer weniger hoch auflösenden Methode, der Elektronenmikroskopie. Wir haben Tausende von Rohbildern im Elektronenmikroskop gemacht und daraus Bilder gemittelt, so Ballmer-Hofer.

Unerwartetes Ergebnis

Dann kam es zur grossen Überraschung: Das VEGF verbindet sich nicht nur direkt mit dem Rezeptor, sondern es bildet sich eine Art „8“ mit zwei weiteren Verbindungsstellen zwischen den gebundenen Rezeptoren. Ballmer-Hofer begeistert das noch immer: Das macht Wissenschaft interessant: Wenn nicht das erwartete Resultat eintritt. Wenn die Natur einem widerspricht. Blockierte man diese weiteren Verbindungen, tat auch die Blutgefässzelle nicht, was die Krebszelle von ihr verlangte. So wie der falsche Schlüssel verhindert, dass jemand zur abgeschlossenen Tür hinein kann. Auch die Kristalluntersuchung gelang schliesslich doch noch – als ein Doktorand die Kristallherstellung mit einem anderen Rezeptor für VEGF versuchte und eine Postdoktorandin in enger Zusammenarbeit mit der SLS unter Anwendung neuster Tricks die verwendeten Kristalle zur Strukturbestimmung benutzen konnte.

Der nächste Schritt ist nun, ein Molekül zu finden, das den Rezeptor selbst in seiner Funktion stört. In Zellkultur haben wir das schon geschafft. Jetzt wollen wir zeigen, dass das auch bei Tieren funktioniert. Dann rückt eine mögliche klinische Anwendung näher. Ballmer-Hofer selbst wird das dann bereits aus der Perspektive des Pensionärs weiterverfolgen.

Text: Alexandra von Ascheraden

VEGF

VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) ist ein Botenstoff, der produziert wird, wenn in einem Organ neue Blut- oder Lymphgefässe benötigt werden. Er bindet an einen speziellen Rezeptor an der Aussenseite von Endothelzellen, den Zellen, die die Blutgefässe auskleiden. Dockt VEGF an den Rezeptor, ändert dieser seine Struktur und löst im Zellinnern eine chemische Reaktion aus. Diese veranlasst die Zelle dazu, sich zu teilen und zum Wachstum neuer Gefässe beizutragen.

Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. Kurt Ballmer, Labor für Biomolekulare Forschung, Paul Scherrer Institut
Telefon: +41 56 310 41 65, E-Mail: kurt.ballmer@psi.ch
Weiterführende Informationen
Den Lebensnerv des Tumors treffen: http://psi.ch/SpC6
Nährstoffzufuhr des Tumors kappen: https://issuu.com/paul-scherrer-institute/docs/fzf_01_2013/19
Originalveröffentlichung
Thermodynamic and structural description of allosterically regulated VEGF receptor 2 dimerization. Brozzo, M.S. et al.
Blood 119, 1781-1788 (2012)
DOI: 10.1182/blood-2011-11-390922

Structure of a VEGF-VEGF receptor complex determined by electron microscopy.
Ruch, C., Skiniotis, G., Steinmetz, M.O., Walz, T., & Ballmer-Hofer, K.
Nat. Struct. Mol. Biol. 14, 249-250 (2007);
DOI: 10.1038/nsmb1202